BFH, Urteil v. 29.10.2008, I R 51/07

BFH Urteil vom 29.10.2008 – I R 51/07 (veröffentlicht am 10.12.2008)

Entscheidungsstichwort (Thema)
Kommunales Krematorium als Betrieb gewerblicher Art

Leitsatz
Auch wenn eine wirtschaftliche Betätigung durch landesrechtliche Regelungen in einem einzelnen Bundesland ausschließlich der öffentlichen Hand vorbehalten ist (hier: der Betrieb eines kommunalen Krematoriums in Nordrhein-Westfalen), handelt es sich nur dann um einen Hoheitsbetrieb i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG, wenn der Markt für die angebotene Leistung örtlich so eingegrenzt ist, dass eine Wettbewerbsbeeinträchtigung steuerpflichtiger Unternehmen in anderen Bundesländern oder EU-Mitgliedstaaten ausgeschlossen werden kann.

Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; GewStDV § 2 Abs. 1; KStG § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1, 5; BestG NRW § 1 Abs. 5

Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.06.2007; Aktenzeichen 15 K 4884/06 KE,K,G; EFG 2007, 1547)

Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Kommune, betreibt ein Krematorium, das als organisatorisch und finanzwirtschaftlich unselbständiger Regiebetrieb geführt wird.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) beurteilte diese Tätigkeit als einen Betrieb gewerblicher Art (BgA) und erließ nach vergeblicher Aufforderung zur Vorlage von Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhende Körperschaftsteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2004 und 2005 sowie Kapitalertragsteuerbescheide für die Anmeldungszeiträume VIII/2005 und VIII/2006. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) Düsseldorf mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1547 veröffentlichtem Urteil vom 21. Juni 2007 15 K 4884/06 KE,K,G statt.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Klägerin unterhält mit dem Krematorium einen BgA (§ 4 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes –KStG–) und keinen Hoheitsbetrieb i.S. des § 4 Abs. 5 KStG.

1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind mit ihren BgA unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG). BgA sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben (§ 4 Abs. 1 KStG).

Zu den BgA gehören nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG jedoch nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Urteile vom 7. November 2007 I R 52/06, BFH/NV 2008, 888; vom 25. Januar 2005 I R 63/03, BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501, m.w.N.).

Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet. Dann bewegt sich auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmen durch den Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen (Senatsurteil in BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501, m.w.N.).

2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das FG im Streitfall den Betrieb des Krematoriums zu Unrecht als Hoheitsbetrieb beurteilt. Denn Einäscherungen waren im Streitjahr nicht mehr juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Trägern öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten (Senatsbeschluss vom 17. März 2005 I B 245/04, BFH/NV 2005, 1135).

a) Nach den Ausführungen des FG ist die Leichenverbrennung in Nordrhein-Westfalen eine öffentliche Aufgabe der Gebietskörperschaften, mit der private Unternehmen lediglich beliehen werden können. Das FG hat sich dabei auf das Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen für Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2003 (BeStG NRW) gestützt. Dieses sieht zwar in § 1 Abs. 5 BeStG NRW die Möglichkeit vor, den Betrieb eines Krematoriums an einen privaten Unternehmer zu übertragen; die öffentlich-rechtliche Körperschaft bleibt aber nach Auffassung des FG Träger dieser Einrichtung. Die Folgerungen des FG betreffen Bestand und Inhalt landesrechtlicher Vorschriften. An diese Rechtsauslegung ist der Senat im Revisionsverfahren gebunden, da ihm gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO die Prüfung des angefochtenen Urteils nur im Hinblick auf die Verletzung von Bundesrecht erlaubt ist (Senatsurteil in BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501).

b) Der hieraus gezogene Schluss des FG, es handele sich bei dem Betrieb des Krematoriums um einen Hoheitsbetrieb, ist nicht gerechtfertigt.

aa) Es trifft nicht zu, dass in Fällen, in denen die Rechtsträgerschaft für eine öffentliche Aufgabe bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften verbleibt und nur die Möglichkeit besteht, diese auf ein privates Unternehmen zu übertragen, stets von einem Hoheitsbetrieb i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG auszugehen ist.
Maßgeblich ist vielmehr auch in diesem Fall, ob zwischen dem beliehenen privaten und dem öffentlichen Unternehmen Wettbewerb herrscht. Der Senat hat zwar im Senatsurteil in BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501 einen Hoheitsbetrieb bejaht, in dem mit der Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben auch beliehene Unternehmer (Vermessungsingenieure) betraut waren. Zwischen diesen und den Vermessungs- und Katasterämtern herrschte jedoch kein Wettbewerb. Die Leistungsempfänger waren verpflichtet, ihre Grundstücke durch die Vermessungs- und Katasterämter unter den im Gesetz festgelegten Voraussetzungen vermessen zu lassen, und konnten nicht wählen, ob die Vermessungen durch öffentlich bestellte Vermessungsingenieure oder durch Bedienstete des Vermessungs- und Katasteramtes vorgenommen wurden. Eine andere Beurteilung ist aber dann angezeigt, wenn der Leistungsempfänger zur Inanspruchnahme der Leistung nicht verpflichtet ist, sondern –wie bei Kremierungen in Nordrhein-Westfalen der Fall– zwischen beliehenem Unternehmer und der juristischen Person des öffentlichen Rechts wählen kann und öffentliche und private Unternehmen ihre Preise frei gestalten können.

bb) Dessen ungeachtet wäre das Krematorium der Klägerin auch dann nicht als Hoheitsbetrieb einzuordnen, wenn zwischen den privaten und den öffentlichen Krematoriumsbetreibern in Nordrhein-Westfalen kein Wettbewerb herrschte. Denn der für Leichenverbrennungen räumlich wettbewerbsrelevante Markt war in den Streitjahren nicht auf Nordrhein-Westfalen beschränkt.

Ist eine Betätigung durch landesrechtliche Regelungen nur in einzelnen Bundesländern ausschließlich der öffentlichen Hand vorbehalten, kann nur dann ein Hoheitsbetrieb i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG angenommen werden, wenn der Markt für die angebotene Leistung örtlich so eingegrenzt ist, dass eine Wettbewerbsbeeinträchtigung steuerpflichtiger Unternehmen in anderen Bundesländern oder EU-Mitgliedstaaten ausgeschlossen werden kann. Ist dies nicht der Fall, liegt regelmäßig selbst dann ein Betrieb gewerblicher Art vor, wenn innerhalb des Bundeslandes diese Aufgaben nur durch juristische Personen des öffentlichen Rechts wahrgenommen werden.

Einäscherungen waren in anderen Bundesländern keine Aufgaben mehr, die ausschließlich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfüllt wurden. Vielmehr durften in den Streitjahren z.B. in Bayern (vgl. Senatsbeschluss in BFH/ NV 2005, 1135) und Sachsen-Anhalt (BFH-Beschluss vom 23. Februar 2004 VII R 24/03, BFH/NV 2004, 808) auch privatwirtschaftliche Unternehmen Feuerbestattungsanlagen betreiben, die mit den in Nordrhein-Westfalen unterhaltenen Krematorien in Wettbewerb standen. Denn die Leichenverbrennung war –wie auch die vom FA angeführten Werbeanzeigen im Internet über günstige Kremierungen in den Niederlanden zeigen– nicht auf Krematorien im örtlichen Bereich der Verstorbenen begrenzt, so dass die unterschiedliche Besteuerung wettbewerbsrelevant ist. Würde diese Tätigkeit nur bei privatwirtschaftlichen Unternehmen mit Ertragsteuer (und Umsatzsteuer) belastet, erlitten diese gegenüber öffentlich-rechtlichen Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil.

Dieser Einschätzung steht die föderale Struktur der Bundesrepublik nicht entgegen. Die Länder können zwar im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz entscheiden, welche Aufgaben sie der öffentlichen Hand vorbehalten. Die ertragsteuer- und umsatzsteuerrechtlichen Folgen einer Betätigung der öffentlichen Hand sind jedoch der Regelungskompetenz der Länder entzogen und richten sich nach Bundesrecht.

c) Dieses Ergebnis widerspricht nicht –wie die Klägerin meint– dem Senatsurteil vom 23. Oktober 1996 I R 1-2/94 (BFHE 181, 332, BStBl II 1997, 139), mit dem der Senat die Hausmüllentsorgung als Hoheitsbetrieb beurteilt hat. Die rechtliche und wirtschaftliche Situation der Hausmüllentsorgung einerseits –wie der Senat sie in jenem Urteil gesehen hat– und der Leichenverbrennung andererseits sind nicht miteinander vergleichbar. Die Besitzer von Hausmüll müssen diesen der juristischen Person des öffentlichen Rechts, der die Hausmüllbeseitigung als öffentliche Aufgabe zugewiesen ist (§ 15 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen –Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz [KrW-/AbfG]– vom 27. September 1994, BGBl I 1994, 2705), zur Entsorgung überlassen (§ 13 KrW-/AbfG). Diese ist öffentlich-rechtlich verpflichtet, den Müll –mit Ausnahme des Sondermülls– abzunehmen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Die entsorgungspflichtigen Körperschaften dürfen sich zwar zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter, auch Personen des Privatrechts bedienen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG). Die Dritten sind jedoch nach der Sicht des Senats in jenem Urteil nur Erfüllungsgehilfen (sog. Verwaltungshelfer). Die Müllentsorgung bleibt auch bei Einschaltung Dritter eine Tätigkeit der entsorgungspflichtigen Körperschaft. Der Hausmüllbesitzer kann nach den Ausführungen im Senatsurteil in BFHE 181, 332, BStBl II 1997, 139 keine vertraglichen Beziehungen zu den Erfüllungsgehilfen hinsichtlich der Entsorgung des Abfalls eingehen. Eine Wettbewerbssituation zwischen Erfüllungsgehilfen und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften besteht daher nicht. Dagegen unterliegt derjenige, der eine Leiche einäschern lassen will, keinem Annahmezwang. Er kann vielmehr im Bundesgebiet und auch im Ausland zwischen mehreren teils privat, teils hoheitlich betriebenen Krematorien wählen.

3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben; die Klage ist abzuweisen. Die Klägerin hat keine Einwendungen gegen die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen
beruhenden Steuerbescheide bzw. Nachforderungsbescheide erhoben. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, dass sie mit dem Krematorium keinen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben anstrebt.
Infolgedessen ist davon auszugehen, dass die Klägerin insoweit einen Gewerbebetrieb unterhält (§ 2 Abs. 1 der Gewerbesteuer- Durchführungsverordnung; § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes).

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