BMF-Schreiben v. 15.05.2000, IV C 6 – S 0170 – 35/00:

Erteilung vorläufiger Bescheinigungen über die Gemeinnützigkeit; Angemessenheit von Aufwendungen…

… für die Verwaltung und Spendenwerbung

Bundesministerium der Finanzen
IV C 6 – S 0170 – 35/00
Schreiben  vom 15.05.2000

AO § 55

Der BFH hat mit Beschluss vom 23.9.1998, I B 82/98 entschieden, dass

I. eine gemeinnützige Körperschaft unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Erteilung einer vorläufigen Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit hat und

II. eine Körperschaft gegen das Gebot der Selbstlosigkeit § 55 AO) verstoßen kann, wenn sie Spendeneinnahmen nicht überwiegend für ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder nehme ich zur Anwendung der Rechtsgrundsätze dieses Beschlusses wie folgt Stellung:

I. Vorläufige Bescheinigungen

1. Nach dem Anwendungserlass zur AO, zu § 59, Nr. 4 und 5, hat das FA einer Körperschaft, bei der die Voraussetzungen der Steuervergünstigung noch nicht im Veranlagungsverfahren festgestellt worden sind (Neugründungen), auf Antrag eine vorläufige Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit zu erteilen, wenn die eingereichte Satzung den Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts genügt. Die Bescheinigung ist befristet zu er teilen und jederzeit widerruflich. Sie berechtigt die Körperschaft insbesondere zum Empfang steuerbegünstigter Spenden bereits vor Ablauf des ersten Veranlagungszeitraums.

An diesem Verfahren wird festgehalten. Die vorläufige Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit ist in diesen Fällen (Neugründungen) mit der Vordruck Gem 5 zu erteilen.

2. Nach dem Beschluss des BFH vom 23.9.1998 kann die Erteilung einer vorläufigen Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit auch in Betracht kommen, wenn eine Körperschaft schon längere Zeit existiert und die Gemeinnützigkeit im Veranlagungsverfahren versagt wurde.

a) Eine vorläufige Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit ist in diesen Fällen auf An trag zu erteilen, wenn die Körperschaft die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit im gesamten Veranlagungszeitraum, der dem Zeitraum der Nichtgewährung folgt, voraussichtlich erfüllen wird. Ihre Geltungsdauer sollte 18 Monate nicht überschreiten.

b) Darüber hinaus kann die Erteilung einer vorläufigen Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit auch dann geboten sein, wenn die Körperschaft nach Auffassung des Finanzamts nicht gemeinnützig ist. In diesen Fällen darf die Bescheinigung nur erteilt werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
aa)

aa) Die Körperschaft muss gegen eine Entscheidung des Finanzamts, mit der die Erteilung einer vorläufigen Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit abgelehnt wurde, beim zuständigen Finanzgericht Rechtsschutz begehrt haben.
bb)

bb) Es müssen ernstliche Zweifel bestehen, ob die Ablehnung der Gemeinnützigkeit im Klageverfahren bestätigt wird. Dies erfordert, dass die Körperschaft schlüssig darlegt und glaubhaft macht, dass sie die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit nach ihrer Satzung und bei der tatsächlichen Geschäftsführung erfüllt.
cc)

cc) Die wirtschaftliche Existenz der Körperschaft muss in Folge der Nichterteilung der vorläufigen Bescheinigung gefährdet sein. Für die Beurteilung sind die Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall maßgeblich. Eine Existenzgefährdung kann nicht allein deshalb unterstellt werden, weil sich die Körperschaft bisher zu einem wesentlichen Teil aus Spenden oder steuerlich abziehbaren Mitgliedsbeiträgen finanziert hat und wegen der Nichtgewährung der Steuervergünstigungen ein erheblicher Rückgang dieser Einnahmen zu erwarten ist. Sie liegt z.B. auch dann nicht vor, wenn die Körperschaft über ausreichendes verwertbares Vermögen verfügt oder sich ausreichende Kredite verschaffen kann. Die Körperschaft muss als Antragsgrund die Existenzgefährdung schlüssig darlegen und glaubhaft machen.

Die vorläufige Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit nach der Nummer 2 Buchstabe b ist ggf. formlos zu erteilen. Sie muss die Körperschaft in die Lage versetzen, unter Hin weis auf die steuerliche Abzugsfähigkeit um Zuwendungen zu werben. Ihre Geltungsdauer ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zu befristen. Ob Auflagen, wie sie der BFH in dem entschiedenen Fall beschlossen hat (u.a. vierteljährliche Einreichung von Aufstellungen über die Einnahmen und Ausgaben), sinnvoll und erforderlich sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

II. Angemessenheit von Verwaltungsausgaben

1. Eine Körperschaft kann nicht als gemeinnützig behandelt werden, wenn ihre Ausgaben für die allgemeine Verwaltung einschließlich der Werbung um Spenden einen angemessenen Rahmen übersteigen § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AO). Nach dem Beschluss des BFH vom 23.9.1998 wird dieser Rahmen überschritten, wenn eine Körperschaft, die sich weit gehend durch Geldspenden finanziert, diese – nach einer Aufbauphase – überwiegend zur Bestreitung von Ausgaben für Verwaltung und Spendenwerbung statt für die Verwirklichung der steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet. Der BFH hat die Höhe der Verwaltungsausgaben einschließlich Spendenwerbung ins Verhältnis zu den Spendeneinnahmen gesetzt. Dies ist dahingehend zu verallgemeinern, dass die Verwaltungsausgaben einschließlich Spendenwerbung ins Verhältnis zu den gesamten vereinnahmten Mitteln (Spenden, Mitgliedsbeiträge, Zuschüsse, Gewinne aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben usw.) zu setzen sind.

Der BFH hat mit diesem Beschluss keine allgemeine Grenze von 50 % für die Angemessenheit von Verwaltungsausgaben einschließlich der Spendenwerbung festgelegt. Viel mehr kommt es, wie sich auch aus der Begründung des Beschlusses entnehmen lässt, für die Frage der Angemessenheit dieser Ausgaben entscheidend auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. Deshalb kann eine für die Gemeinnützigkeit schädliche Mittelverwendung auch schon bei einem deutlich geringeren prozentualen Anteil der Verwaltungsausgaben vorliegen.

Verwendet eine Körperschaft Mittel für die Werbung neuer Mitglieder, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, wenn sie hierfür im Jahr nicht mehr als 10 % der gesamten Mitgliedsbeiträge des Jahres aufwendet.

2. Während der Gründungs- oder Aufbauphase einer Körperschaft kann auch eine überwiegende Verwendung der Mittel für Verwaltungsausgaben und Spendenwerbung unschädlich für die Gemeinnützigkeit sein. Die Dauer der Gründungs- oder Aufbauphase, während der dies möglich ist, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalls ab.

In dem entschiedenen Fall hat der BFH es nicht beanstandet, dass die Ausgaben der Körperschaft für Verwaltung und Spendenwerbung in den ersten 4 Jahren nach der Gründung die Grenze von 50 % der eingenommenen Geldspenden weit überschritten haben, und erst ab dem 5. Jahr die Einhaltung dieser Grenze verlangt. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass generell eine Aufbauphase von 4 Jahren, in der höhere anteilige Ausgaben für Verwaltung und Spendenwerbung zulässig sind, zugestanden werden muss. Der BFH hat in dem entschiedenen Fall neben den besonderen Aufgaben und der Struktur der Körperschaft auch noch berücksichtigt, dass nach der Aberkennung der Gemeinnützigkeit und dem dadurch verursachten starken Rückgang der Spendeneinnahmen eine 2. Aufbauphase erforderlich war. Der vom BFH zugestandene Zeitraum von 4 Jahren ist deshalb als Obergrenze zu verstehen. In der Regel ist von einer kürzeren Aufbauphase auszugehen.

3. Es wird darauf hingewiesen, dass die Gemeinnützigkeit auch dann zu versagen ist, wenn das Verhältnis der Verwaltungsausgaben zu den Ausgaben für die steuerbegünstigten Zwecke zwar insgesamt nicht zu beanstanden, eine einzelne Verwaltungsausgabe (z.B. das Gehalt des Geschäftsführers oder der Aufwand für die Mitglieder- und Spendenwerbung) aber nicht angemessen ist § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO).

4. Nach den Ausführungen des BFH in dem Beschluss vom 23.9.1998 sind Ausgaben für Gehälter und Lohnnebenkosten (Personalkosten) der Verwaltung und der Spendenwerbung entsprechend der für diese Tätigkeiten aufgewendeten Arbeitszeit zuzuordnen. Hierzu wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den Kosten für die Beschäftigung eines Geschäftsführers grundsätzlich um Verwaltungsausgaben handelt. Eine Zuordnung der Kosten zu der steuerbegünstigten Tätigkeit ist nur insoweit möglich, als der Geschäftsführer unmittelbar bei gemeinnützigen Projekten mitarbeitet. Entsprechendes gilt für die Zuordnung von Reisekosten.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I und gleichzeitig der BFH-Beschluss vom 23.9.1998 im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht.

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