FG Niedersachsen, Urteil v. 23.10.1996, I R 1-2/94:

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind hinsichtlich ihrer Hausmüllentsorgungseinrichtungen in den Jahren 1984 und 1985 nicht körperschaftsteuerpflichtig – Körperschaftsteuer

Urteil vom 23.10.1996
I R 1-2/94
Vorinstanz Niedersächsisches FG

Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen zur Behandlung einer Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Hoheitsbetrieb oder als Betrieb gewerblicher Art: Hausmüllentsorgungsbetrieb, Stromerzeugung durch Deponiegase, Wertstoffverwertung und Müllsackverkauf einer Gebietskörperschaft, Begriff der öffentlichen bzw. hoheitlichen Gewalt, Abgrenzungskriterien, Wettbewerb zu Privatunternehmen, Beurteilung der “überwiegenden” Ausübung öffentlicher Gewalt

Leitsatz

1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind hinsichtlich ihrer Hausmüllentsorgungseinrichtungen in den Jahren 1984 und 1985 nicht körperschaftsteuerpflichtig.

Orientierungssatz

1. Eine öffentliche (*=hoheitliche) Gewalt i.S. des § 4 Abs.5 KStG 1984 wird durch Tätigkeiten ausgeübt, die den juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Gewalt “eigentümlich und vorbehalten” sind. Übernimmt die juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben, wie sie auch von Personen des Privatrechts ausgeübt werden, und tritt sie dadurch –und sei es auch ungewollt– in tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmen, ist ihre Tätigkeit nicht mehr hoheitlich. Es ist dann unerheblich, ob die juristische Person mit der Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Leistungsverpflichtung nachkommt und ob die Einnahmen, die sie durch die Tätigkeit erzielt, in Form öffentlich-rechtlicher Gebühren oder eines Beitrags erhoben werden.

2. Die Entsorgung des Hausmülls durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts war in den Jahren 1984 und 1985 ein Hoheitsbetrieb und kein Betrieb gewerblicher Art. Inwieweit dies auch für den Sondermüll (vgl. zum Begriff Sondermüll §§ 2 Abs. 2, 3 Abs.3 Abfallbeseitigungsgesetz) gilt, bleibt im Streitfall ebenso offen wie die Frage, ob die körperschaftsteuerliche Beurteilung der Hausmüllentsorgungsbetriebe von Gebietskörperschaften als Hoheitsbetriebe auch umsatzsteuerlich relevant ist. Wurde der Müll in –zuvor von der juristischen Person des öffentlichen Rechts über den örtlichen Einzelhandel verkauften– Müllsäcken eingesammelt, so war auch der “Müllsackverkauf” Teil des Hoheitsbetriebes.

3. Im Streitfall bleibt offen, ob die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts 1984 und 1985 durchgeführte Wertstoffverwertung (Sammlung von Altglas, Altpapier und Schrott und anschließender Verkauf) und die Nutzung des an einer Hausmülldeponie entstehenden Deponiegases zur Stromerzeugung (Verkauf des Stroms an einen Energieversorger) Teile des Hoheitsbetriebs “Hausmüllentsorgung” waren oder ob es sich hierbei um einen einheitlichen oder zwei getrennte Betriebe gewerblicher Art handelte.

4. Bei der Prüfung, ob eine Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts überwiegend der Ausübung öffentlicher (*=hoheitlicher) Gewalt dient, ist darauf abzustellen, inwieweit eine aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung ihrer Art nach einheitlich als hoheitlich zu beurteilende Tätigkeit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder der Erzielung von Einnahmen und damit wirtschaftlichen Interessen der juristischen Person des öffentlichen Rechts dient. Wird die Tätigkeit vorrangig ausgeübt, um Einnahmen zu erzielen, und dienen vorhandene Zwangsrechte oder Monopolrechte vorrangig auch dazu, die juristische Person vor Konkurrenz zu schützen und ihr die Einnahmen aus der Tätigkeit zu sichern, dient die Tätigkeit nicht mehr überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt. Anders ist es, wenn die Erzielung von Einnahmen nur ein Nebenzweck der Tätigkeit ist. AbfG § 2 Abs. 2 Fassung: 1977-01-05; AbfG § 2 Abs. 2 Fassung: 1986-08-27, § 3 Abs. 1 Fassung: 1977-01-05, § 3 Abs. 1 Fassung: 1986-08-27, Abs. 2 Fassung: 1977-01-05, Abs. 2 Fassung: 1986-08-27, Abs. 3 Fassung: 1977-01-05, Abs. 3 Fassung: 1986-08-27, Abs. 4 Fassung: 1977-01-05, Abs. 4 Fassung: 1986-08-27; KrW-/AbfG §§ 13, 15, 16 Abs. 1 Satz 2; KStG 1984 § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1, 5; UStG 1980 § 2 Abs. 3

Rechtszug

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 04.08.1993; Aktenzeichen VI 514/88)

Diese Entscheidung wird zitiert von

BFH – 28.02.2002 – V R 19/01 – (V)
BFH – 02.12.1999 – V B 81/99 – (V)
BFH – 08.01.1998 – V R 32/97 – (V)

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) –ein Landkreis– übte in den Jahren 1984 und 1985 (Streitjahre) im Bereich der Hausmüllentsorgung und der Stromversorgung folgende Tätigkeiten aus:

– Er entsorgte den im Kreisgebiet anfallenden Hausmüll, indem er ihn abtransportierte und auf seiner Mülldeponie ablagerte. Der Müll wurde in Säcken eingesammelt, die der Kläger über den örtlichen Einzelhandel verkaufte. Der Ladenverkaufspreis der Säcke setzte sich aus den Anschaffungs-, Lager- und Auslieferungskosten der Säcke und einem Gewinnaufschlag zusammen. Er enthielt kein Entgelt für den Abtransport und die Deponierung des Mülls.

– Außerdem sammelte der Kläger im Kreisgebiet Altglas, Altpapier und Schrott (künftig: Wertstoffe) ein. Das Sammelgut veräußerte er.

– Das in der Mülldeponie entstehende Deponiegas nutzte der Kläger zur Stromerzeugung. Den Strom verkaufte er an ein Energie-versorgungsunternehmen.

Organisatorisch hatte der Kläger diese Tätigkeiten im Amt für Abfallwirtschaft zusammengefaßt. Durch den Verkauf der Müllsäcke erzielte er in beiden Streitjahren Gewinne. Das Sammeln und der Verkauf der Wertstoffe führte 1984 zu einem geringen Gewinn und 1985 zu einem erheblichen Verlust. Die Verwertung des Deponiegases war in beiden Streitjahren verlustbringend. Insgesamt überstiegen in den Streitjahren die Verluste die Gewinne um über 200 000 DM. Nicht berücksichtigt sind dabei die Aufwendungen des Klägers für den Abtransport des Mülls und dessen Deponierung sowie die zur Deckung dieser Kosten vom Kläger aufgrund einer Satzung erhobenen Müllgebühren.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) beurteilte die Hausmüllbeseitigung (Abtransport des gesammelten Hausmülls und dessen Deponierung) als Hoheitsbetrieb, mit dem der Kläger nicht der Besteuerung unterliege (§ 1 Abs.1 Nr.6 i.V.m. § 4 Abs.5 des Körperschaftsteuergesetzes –KStG– 1984). Die anderen Tätigkeiten (Verkauf der Müllsäcke, Einsammeln und Verkauf der Wertstoffe und Erzeugung und Verkauf von Strom) sah das FA als drei getrennte Betriebe gewerblicher Art i.S. des § 4 Abs.1 KStG 1984 an und erließ für jeden dieser Betriebe gesonderte an den Kläger gerichtete Körperschaftsteuerbescheide (festgesetzte Steuern: Betrieb “Müllsackverkauf” insgesamt ca. 100 000 DM; Betriebe “Wertstoffverwertung” und “Stromerzeugung” je Jahr und Betrieb 0 DM). Die Einsprüche, mit denen der Kläger geltend machte, der Müllsackverkauf, die Wertstoffverwertung und die Stromerzeugung seien ein einziger Betrieb gewerblicher Art “Abfallentsorgung”, waren erfolglos. Während der anschließenden Klageverfahren erließ das FA am 19. März 1990 geänderte Körperschaftsteuerbescheide für den Betrieb  gewerblicher Art “Müllsackverkauf” (festgesetzte Steuern nunmehr insgesamt ca. 84 000 DM). Der Kläger machte die Änderungsbescheide zum Gegenstand der Klageverfahren. Er begehrte, die für die drei Betriebe erlassenen Körperschaftsteuerbescheide aufzuheben und statt dessen für einen einzigen Betrieb gewerblicher Art “Abfallentsorgung” die Körperschaftsteuer 1984 und 1985 auf jeweils 0 DM festzusetzen. Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen statt (Urteile vom 4. August 1993). Es vertrat die Auffassung, die Tätigkeiten des Klägers auf dem Gebiet der Müllentsorgung –mit Ausnahme des als Hoheitsbetrieb zu beurteilenden Einsammelns und Deponierens des Hausmülls– dienten im weitesten Sinne der Versorgung der Bevölkerung und seien ein einziger Betrieb gewerblicher Art, obwohl zwischen ihnen keine engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtungen bestünden.

Das FA stützt die vom FG zugelassenen Revisionen auf Verletzung des § 1 Abs.1 Nr.6 i.V.m. § 4 KStG 1984.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs.2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) und hat sinngemäß vorgetragen: Das Einsammeln und Deponieren von Müll sei keine hoheitliche Tätigkeit. An der in Abschn.5 Abs.14 Satz 3 und Abs.24 der Körperschaftsteuer-Richtlinien (KStR) 1995 vertretenen Auffassung, die Müllbeseitigung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts seien Hoheitsbetriebe, halte das BMF auch für die Streitjahre nicht mehr fest. Der Müllsackverkauf, das Einsammeln und Deponieren des Mülls, die Wertstoffverwertung und die Stromerzeugung durch den Kläger seien aufgrund der zwischen diesen Tätigkeiten bestehenden engen technisch-wirtschaftlichen Verflechtungen und ihrer organisatorischen Zusammenfassung ein einziger Betrieb gewerblicher Art.

Das FA ist dem entgegengetreten. Aufgrund der für die Abfallentsorgung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften beurteilt es das Einsammeln und Deponieren des Hausmülls durch Gebietskörperschaften als Tätigkeiten, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen und somit Hoheitsbetriebe und keine Betriebe gewerblicher Art sind. Der Müllsackverkauf ist nach Auffassung des FA kein Teil des Hoheitsbetriebs, da er vom Kläger nicht durch Satzung geregelt worden sei.

Das FA beantragt, die Urteile des FG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Der erkennende Senat hat die Revisionen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Entscheidungsgründe

II. Die Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und Entscheidung in der Sache (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).

A) Die den “Müllsackverkauf” betreffenden Körperschaftsteuerbescheide vom 19. März 1990 werden ersatzlos aufgehoben. Der Kläger ist hinsichtlich des Verkaufs der Müllsäcke nicht körperschaftsteuerpflichtig. Der Müllsackverkauf war Teil eines Hoheitsbetriebs, mit dem der Kläger nicht der Körperschaftsteuer unterliegt.

1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Sitz im Inland –wie der Kläger–, sind nur hinsichtlich ihrer Betriebe gewerblicher Art unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs.1 Nr.6 KStG 1984). Nicht zu den Betrieben gewerblicher Art gehören gemäß § 4 Abs.5 Satz 1 KStG 1984 Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wird öffentliche (= hoheitliche) Gewalt i.S. des § 4 Abs.5 KStG 1984 durch Tätigkeiten ausgeübt, die den juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Gewalt “eigentümlich und vorbehalten” sind (BFH-Urteile vom 9. Februar 1953 V 84/52 U, BFHE 57, 221, BStBl III 1953, 86; vom 15. März 1972 I R 232/71, BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500; vom 21. September 1989 V R 89/85, BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95; vom 14. März 1990 I R 156/87, BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866). Übernimmt eine juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben, wie sie auch von Personen des Privatrechts ausgeübt werden, und tritt sie dadurch –und sei es auch ungewollt– in tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmen, ist ihre Tätigkeit nicht mehr hoheitlich (BFH-Urteile vom 30. Juni 1988 V R 79/84, BFHE 154, 192, BStBl II 1988, 910; in BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95; in BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866). Es ist dann unerheblich, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts mit der zu beurteilenden Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Leistungsverpflichtung nachkommt und ob die Einnahmen, die sie durch die Tätigkeit erzielt, in Form öffentlich-rechtlicher Gebühren oder eines Beitrags erhoben werden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95; vom 28. Januar 1988 V R 112/86, BFHE 152, 360, BStBl II 1988, 473).

2. Die Entsorgung des Hausmülls durch juristische Personen des öffentlichen Rechts war in den Streitjahren eine ihrer Art nach hoheitliche Tätigkeit, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt diente. Die Einrichtungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Ausübung dieser Tätigkeit waren keine Betriebe gewerblicher Art, sondern Hoheitsbetriebe. Inwieweit dies auch für die Entsorgung von Sondermüll gilt –das ist Abfall, der nach Art und Menge nicht zusammen mit den in Haushaltungen anfallenden Abfällen entsorgt werden kann (s. § 3 Abs.3 des Abfallbeseitigungsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. Januar 1977 –AbfG a.F.–, BGBl I 1977, 41; § 3 Abs.2 Satz 1 des Gesetzes über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen vom 27. August 1986 –AbfG n.F.–, BGBl I 1986, 1410) oder der aus gewerblichen oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen stammt und nach Art, Beschaffenheit oder Menge in besonderem Maße gefährlich ist (s. § 2 Abs.2 AbfG a.F. und n.F.; zum Begriff “Sondermüll” s. Hösel/ von Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Kz.1120 Rn.28)–, muß in diesem Rechtsstreit nicht entschieden werden. Die vom Kläger verkauften Müllsäcke dienten nach der tatsächlichen Feststellung des FG nur zur Entsorgung des Hausmülls.Die Entsorgung des Hausmülls war in den Streitjahren juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten. Aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung war sie ihrer Art nach eine hoheitliche Tätigkeit.

Der Gesetzgeber beschränkte sich nicht darauf, die Besitzer von Hausmüll zur ordnungsgemäßen Entsorgung des Mülls zu verpflichten und Verstöße gegen die Entsorgungspflicht mit Sanktionen zu bewehren. Vielmehr hat er die Hausmüllbeseitigung juristischen Personen des öffentlichen Rechts –in der Regel den Gebietskörperschaften– als öffentliche Pflichtaufgabe übertragen (§ 3 Abs.2 Satz 1 AbfG a.F. und n.F.; jetzt § 15 Abs.1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen –Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG)– vom 27. September 1994, BGBl I 1994, 2705). Nur sie waren in den Streitjahren befugt, den Hausmüll zu entsorgen. Die Besitzer des Mülls waren kraft öffentlichen Rechts verpflichtet, ihn der entsorgungspflichtigen juristischen Person des öffentlichen Rechts zur Entsorgung zu überlassen (§ 3 Abs.1 AbfG a.F. und n.F.; jetzt § 13 Krw-/AbfG). Diese war öffentlich-rechtlich verpflichtet, den Müll –mit Ausnahme des Sondermülls– abzunehmen und ordnungsgemäß zu entsorgen (§ 3 Abs.2 Satz 1 und Abs.4 AbfG a.F. und n.F.; jetzt § 15 Abs.1 bis 3 KrW-/AbfG). Die Abnahmepflicht stellte sicher, daß die Besitzer des Mülls diesen immer einer Person überlassen konnten, die zur ordnungsgemäßen Entsorgung des Mülls verpflichtet war und für deren Solvenz der Staat einzustehen hatte (Hösel/ von Lersner, a.a.O., Kz.1130 Rn.11; Kunig in Kunig/Schwermer/Versteyl, Abfallgesetz, Kommentar, 2.Aufl. 1992, § 3 Rn.21; s.a. Urteil des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 29. März 1990 4 StR 681/89, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 1990, 2476). Durch die Überlassungspflicht wurde dem Besitzer des Mülls die Lenkungsbefugnis über die Abfallentsorgung entzogen (Kunig, a.a.O., § 3 Rn.2). Dies diente zusammen mit der Abnahmepflicht dazu, eine hygienische und umweltgerechte Müllentsorgung zu gewährleisten (s. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG– vom 19. Januar 1989 7 C 82.87, Deutsches Verwaltungsblatt –DVBl– 1989, 522).

Die entsorgungspflichtigen Körperschaften durften sich zur Erfüllung ihrer Pflichten zwar Dritter –auch Personen des Privatrechts– bedienen (§ 3 Abs.2 Satz 2 AbfG a.F. und n.F.; jetzt § 16 Abs.1 Satz 1 KrW-/AbfG). Sie konnten sich der Pflichtaufgabe dadurch aber nicht entledigen. Die Dritten waren nur Erfüllungsgehilfen (sog. Verwaltungshelfer). Die Müllentsorgung blieb auch bei Einschaltung Dritter eine Tätigkeit der entsorgungspflichtigen Körperschaft. Die juristische Person des öffentlichen Rechts blieb öffentlich-rechtlich für die ordnungsgemäße Entsorgung verantwortlich (Hösel/von Lersner, a.a.O., Kz.1130 Rn.15; Kunig, a.a.O., § 3 Rn.33; so jetzt ausdrücklich § 16 Abs.1 Satz 2 KrW-/AbfG).Die Hausmüllentsorgung war in den Streitjahren den juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch eigentümlich.

Daß sich entsorgungspflichtige juristische Personen des öffentlichen Rechts –darunter nach eigenen Angaben auch der Kläger– in den Streitjahren zur tatsächlichen Durchführung der Hausmüllentsorgung ganz oder teilweise privatwirtschaftlicher Unternehmen bedienten (s.a. BFH-Urteile vom 15. Dezember 1993 X R 115/91, BFHE 173, 254, BStBl II 1994, 314; vom 27. Oktober 1993 I R 60/91, BFHE 174, 97, BStBl II 1994, 573), läßt nicht den Schluß zu, die Hausmüllentsorgung sei in den Streitjahren den juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht mehr eigentümlich gewesen. Die Unternehmen der Privatwirtschaft wurden stets nur als Erfüllungsgehilfen der entsorgungspflichtigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts tätig. Ihre Tätigkeiten sind den entsorgungspflichtigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften zuzurechnen. Die Endverantwortung für die ordnungsmäßige Entsorgung verblieb bei den durch öffentliches Recht zur Entsorgung verpflichteten Körperschaften. Dies machte die Hausmüllentsorgung zu einer ihnen eigentümlichen Aufgabe und Tätigkeit.Die Entsorgung des Hausmülls durch juristische Personen des öffentlichen Rechts diente in den Streitjahren überwiegend der Ausübung öffentlicher (= hoheitlicher) Gewalt.

Dies folgt nicht schon aus der Tatsache, daß die juristischen Personen des öffentlichen Rechts aufgrund ihres ausschließlichen Rechts zur Entsorgung des Hausmülls und der Überlassungspflicht des Müllbesitzers im Bereich der Hausmüllentsorgung über öffentlich-rechtliche Zwangs- und Monopolrechte verfügten. Derartige Rechte reichen für die Annahme eines Hoheitsbetriebs nicht aus (§ 4 Abs.5 Satz 2 KStG 1984; s.a. BFH-Urteil in BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500). Entscheidend ist vielmehr, inwieweit eine aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung ihrer Art nach einheitlich als hoheitlich zu beurteilende Tätigkeit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder der Erzielung von Einnahmen und damit wirtschaftlichen Interessen der juristischen Person des öffentlichen Rechts dient (s. BFH-Urteil vom 10. Juli 1962 I 164/59 S, BFHE 75, 498, BStBl III 1962, 448).

Wird die Tätigkeit vorrangig ausgeübt, um Einnahmen zu erzielen, und dienen die Zwangs- oder Monopolrechte somit auch vorrangig dazu, die juristische Person des öffentlichen Rechts vor Konkurrenz zu schützen und ihr die Einnahmen aus der Tätigkeit zu sichern, dient die Tätigkeit nicht mehr überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt. Anders ist es, wenn die Erzielung von Einnahmen nur ein Nebenzweck der Tätigkeit ist.

Die Hausmüllentsorgung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts diente in den Streitjahren überwiegend der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. Sie war Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge insbesondere im Bereich des Gesundheits- und Umweltschutzes und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (s. § 2 Abs.1 AbfG a.F. und n.F.; BVerwG-Urteil in DVBl 1989, 522; Hösel/von Lersner, a.a.O., Kz.1130 Rn.11; Kunig, a.a.O., § 3 Rn.1). Die Hausmüllentsorgung wurde den Gebietskörperschaften als Pflichtaufgabe übertragen, da die Besitzer des Hausmülls in der Regel nicht in der Lage sind, selbst eine ordnungsgemäße Entsorgung sicherzustellen (Hösel/von Lersner, a.a.O., Kz.1130 Rn.2 und 11). Die Erzielung von Einnahmen war lediglich Nebenzweck der Tätigkeit. Die Gebietskörperschaften entsorgten den Hausmüll nicht, um Einnahmen zu erzielen. Vielmehr wurde der Müll zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt entsorgt.) Die Hausmüllentsorgung durch den Kläger ist nicht aus Gründen der Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts als Betrieb gewerblicher Art zu beurteilen.

Da die Hausmüllentsorgung in den Streitjahren gesetzlich den juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten war, trat der Kläger weder tatsächlich noch potentiell mit Personen des Privatrechts in Wettbewerb. Diese durften zwar als Erfüllungsgehilfen der entsorgungspflichtigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften tätig werden. Damit übernahmen sie aber nicht deren Aufgaben (s.o. II.A.2.a und b).

Selbst wenn man –wie das BMF– einen Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften und privatwirtschaftlichen Entsorgungsunternehmen hinsichtlich des Zugangs zum Entsorgungsmarkt bejaht, führt dies nicht dazu, daß die Tätigkeit des Klägers als Nicht-Hoheitsbetrieb zu beurteilen wäre. Diese Wettbewerbssituation –die Gebietskörperschaften können (hoheitlich) entscheiden, ob sie selbst die Abfallentsorgung tatsächlich durchführen oder damit ganz oder teilweise ein privatwirtschaftliches Entsorgungsunternehmen betrauen– änderte nichts daran, daß die tatsächliche Durchführung der Hausmüllentsorgung durch den Kläger überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt diente und deshalb als Hoheitsbetrieb zu beurteilen ist.

Ob die Qualifizierung der Hausmüllentsorgungsbetriebe der Gebietskörperschaften als Hoheitsbetriebe umsatzsteuerrechtlich relevant ist, kann offenbleiben (zur Kritik an der Anknüpfung an § 1 Abs.1 Nr.6 und § 4 KStG 1984 in § 2 Abs.3 des Umsatzsteuergesetzes im Hinblick auf Art.4 Abs.5 Unterabs.2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG; s. BFH-Beschluß vom 21. März 1995 XI R 33/94, BFHE 177, 534, m.w.N.). Der Streitfall betrifft nur die Körperschaftsteuer.

3. Der Verkauf der Müllsäcke war Teil des Hoheitsbetriebs.

Die Müllsäcke wurden vom Kläger zur Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe über den örtlichen Einzelhandel verkauft. Die Säcke dienten zum Einsammeln des Hausmülls und dessen Transport zur Deponie. Der Verkauf der Säcke war ein Teil des Hausmüllentsorgungssystems des Klägers. Die Verkäufe waren Hilfsgeschäft des Hoheitsbetriebs. Daß sich der Kläger beim Vertrieb der Säcke der Formen des Zivilrechts bediente, macht aus den Verkäufen noch keinen Betrieb gewerblicher Art.

B) Soweit der Kläger die Aufhebung der die “Wertstoffverwertung” und “Stromerzeugung” betreffenden Körperschaftsteuerbescheide 1984 und 1985 begehrt, war die Klage abzuweisen. Sie ist insoweit unzulässig. Hinsichtlich dieser Bescheide fehlt es an einer Beschwer des Klägers. Das FA hat die Körperschaftsteuer 1984 und 1985 für diese Betriebe auf jeweils 0 DM festgesetzt.

Der erkennende Senat kann daher offenlassen, ob die Wertstoffverwertung und die Stromerzeugung Teile des Hoheitsbetriebs waren (s. BMF-Schreiben vom 13. März 1987 IV B 7-S 2706- 13/87, BStBl I 1987, 373) oder ob es sich um Tätigkeiten handelte, die als ein einziger Betrieb oder als zwei Betriebe gewerblicher Art zu beurteilen sind.

C) Die Kosten des gesamten Rechtsstreites hat das FA zu tragen (§ 135 Abs.1 FGO). Es ist im Ergebnis voll unterlegen.

Daß der Kläger die Aufhebung der die Wertstoffverwertung und die Stromerzeugung betreffenden Körperschaftsteuerbescheide beantragt hat und die Klage insoweit unzulässig ist, wirkt sich bei der Kostenentscheidung nicht zu seinem Nachteil aus. Die Klage diente insoweit erkennbar nur dem Zweck, bei einem Erfolg der Klage hinsichtlich der Körperschaftsteuer für den Müllsackverkauf dem FG die Möglichkeit zu eröffnen, gleichzeitig mit der Aufhebung der den Müllsackverkauf betreffenden Bescheide die andernfalls nach § 174 Abs.4 der Abgabenordnung (AO 1977) vom FA nachzuholenden Steuerfestsetzungen vornehmen zu können. Die Rechtsbehelfe gegen die nicht den Müllsackverkauf betreffenden Bescheide hatten somit allein verfahrensrechtliche Bedeutung und lagen auch im Interesse des FA. Durch sie wollte der Kläger keine Herabsetzung der Körperschaftsteuer erreichen.

Fundstellen

Haufe-Index, 66088
BStBl II 1997, 139

Schreiben Sie einen Kommentar