EuGH, Urteil v. 18.01.2001, Rs. C-150/99:

Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer allgemeinen Umsatzsteuerbefreiung in Schweden für die Überlassung von Sportanlagen

EuGH Urteil vom 18.01.2001
Rs. C-150/99
Stockholm Lindöpark

Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbefreiung, Vermietung, Sportanlage

Leitsatz

1.Die Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage stehen einer nationalen Regelung entgegen, die die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen sowie die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung einschließlich der von Einrichtungen mit Gewinnstreben erbrachten Dienstleistungen allgemein von der Mehrwertsteuer befreit.

2.Artikel 17 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit den Artikeln 2, 6 Absatz 1 und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ist so klar, genau undunbedingt, dass sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat vor einem innerstaatlichen Gericht darauf berufen kann.

3.Die Durchführung einer nicht in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie 77/388 vorgesehenen allgemeinen Befreiung von der Mehrwertsteuer für die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen und für die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung stellt eine qualifizierte Verletzung des Gemeinschaftsrechts dar, die die Haftung des Mitgliedstaats begründen kann. EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. b, Art. 17 Abs. 1-2

Beteiligte

Svenska staten
Stockholm Lindöpark AB

Rechtszug

Svea hovrätt

Tatbestand

Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Sechste Richtlinie – Befreiungen – Vermietung von Grundstücken – Ausübung von Sport oder Körperertüchtigung

In der Rechtssache C-150/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Svea hovrätt (Schweden) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Svenska staten

gegen

Stockholm Lindöpark AB

und

Stockholm Lindöpark AB

gegen

Svenska staten

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter P. Jann (Berichterstatter) und L. Sevón,

Generalanwalt: F. G. Jacobs

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

-des Svenska staten, vertreten durch H. Regner und H. Rustand als Bevollmächtigte,

-der Stockholm Lindöpark AB, vertreten durch Rechtsanwalt P.-O. Nordh, Vallentuna,

-der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Simonsson als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Svenska staten, vertreten durch H. Regner, der Stockholm Lindöpark AB, vertreten durch Rechtsanwalt P.-O. Nordh, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch K. Simonsson, in der Sitzung vom 29. Juni 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. September 2000, folgendes

Urteil

1. Der Svea hovrätt hat mit Beschluss vom 26. März 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 23. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; nachstehend: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Svenska staten (dem schwedischen Staat) und der Stockholm Lindöpark AB (nachstehend: Lindöpark), die den schwedischen Staat auf Schadensersatz verklagt hat, weil dieser beim Beitritt des Königreichs Schweden zur Europäischen Union die Sechste Richtlinie, insbesondere ihren Artikel 13, nicht korrekt umgesetzt habe.

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 2 der Sechsten Richtlinie lautet:

Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1.Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2.die Einfuhr von Gegenständen.

4. Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

(1)Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.

Diese Leistung kann unter anderem bestehen

-in der Abtretung eines unkörperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht;

-in der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;

-in der Ausführung eines Dienstes auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes.

5. Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie lautet:

(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

m) bestimmte in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben;

6. Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie bestimmt:

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

b)die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme

1. der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze erschlossenen Grundstücken,

2. der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen,

3. der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen,

4. der Vermietung von Schließfächern.

Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen;

7. Artikel 17 der Sechsten Richtlinie sieht in der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 (ABl. L 376, S. 1) Folgendes vor:

(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

b) die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände im Inland geschuldet wird oder entrichtet worden ist,

Nationales Recht

8. Nach Kapitel 1 § 1 Mervärdesskattelagen (1994:200) (schwedisches Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) ist Mehrwertsteuer an den Staat u. a. für solche inländischen Umsätze von Waren oder Dienstleistungen zu entrichten, die steuerpflichtig sind und erwerbsmäßig getätigt werden. Nach Kapitel 3 § 1 Mehrwertsteuergesetz ist der Umsatz von Waren und Dienstleistungen einschließlich der Einfuhr steuerpflichtig, wenn in diesem Kapitelnichtsanderes angegeben ist. Der Steuerpflicht entspricht nach Kapitel 8 § 3 Mehrwertsteuergesetz das Recht des Steuerpflichtigen, gezahlte Steuern, die mit dem Erwerb oder der Einfuhr für Zwecke des Unternehmens zusammenhängen, abzuziehen.

9. In Kapitel 3 §§ 2 und 3 Mehrwertsteuergesetz sind Ausnahmen von der Steuerpflicht im Immobilienbereich aufgeführt. Dem Vorlagebeschluss zufolge sind nach Kapitel 3 § 2 Absatz 1 von der Steuer befreit Umsätze betreffend Immobilien einschließlich der Überlassung und Zurverfügungstellung von Pachtgrundstücken, Mietrechten, Dauerwohnrechten, Rechten an unbebauten Grundstücken, Dienstbarkeiten und anderen Rechten an Grundstücken. Vor dem 1. Januar 1997 enthielt § 2 einen zweiten Absatz, der wie folgt lautete:

Von der Steuerpflicht befreit ist auch die Zurverfügungstellung von Räumen oder anderen Anlagen oder Teilen davon für die Ausübung von Sport oder die Körperertüchtigung sowie die damit im Zusammenhang stehende Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport oder die Körperertüchtigung.

10. Durch eine Gesetzesänderung, die am 1. Januar 1997 in Kraft trat, wurde dieser Absatz 2 aufgehoben.

Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsfragen

11. Lindöpark betreibt einen Golfplatz für Unternehmen. Ihre Kunden sind ausschließlich Unternehmen, die ihren Angestellten und ihren Kunden so die Möglichkeit zum Golfspiel in dieser Anlage bieten können.

12. Nach Kapitel 3 § 2 Absatz 2 Mehrwertsteuergesetz in der vor dem 1. Januar 1997 geltenden Fassung war die von Lindöpark betriebene Unternehmensgolf-Tätigkeit von der Mehrwertsteuer befreit. Lindöpark war also nicht zum Abzug der entrichteten Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen,die für Zwecke ihrer Tätigkeit verwendet wurden, berechtigt. Seit der am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Änderung dieser Bestimmung unterliegt die Tätigkeit von Lindöpark der Mehrwertsteuer, weshalb die Gesellschaft zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

13. Lindöpark sieht durch die vor dem 1. Januar 1997 geltende Regelung jedenfalls seit dem Beitritt des Königreichs Schweden zur Europäischen Union am 1. Januar 1995 ihre Rechte verletzt. Sie verklagte den schwedischen Staat vor dem Solna tingsrätt auf Schadensersatz in Höhe von 500 000 SEK, den Betrag, den sie in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1996, in dem sie keinen Vorsteuerabzug vornehmen konnte, als Mehrwertsteuer entrichtet habe, nebst Zinsen ab dem Zeitpunkt, von dem an theoretisch das Vorsteuerabzugsrecht bestanden hätte, d. h. 41 632 SEK. Lindöpark machte geltend, der schwedische Staat habe die Sechste Richtlinie in Bezug auf deren Artikel 13 nicht korrekt umgesetzt.

14. Mit Urteil vom 29. September 1997 gab das Solna tingsrätt der Klage der Lindöpark statt und verurteilte den schwedischen Staat, an sie Schadensersatz in Höhe von 500 000 SEK nebst Zinsen ab Klageerhebung zu zahlen.

15. Der Staat legte gegen dieses Urteil beim Svea hovrätt Berufung ein. Auch Lindöpark legte Berufung ein, da ihrer Klage nicht in vollem Umfang stattgegeben worden war.

16. Der Svea hovrätt hat Zweifel, wie die Sechste Richtlinie, insbesondere deren Artikel 13, unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache auszulegen ist. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die wie Kapitel 3 § 2 Absatz 2 des Mehrwertsteuergesetzes (1994:200) in seiner vor dem 1. Januar 1997 geltenden Fassung eine allgemeine Steuerbefreiung für die Überlassung von Sportanlagen vorsehen?

2. Gewährt Artikel 13 in Verbindung mit den Artikeln 2, 6 und 17 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie den Einzelnen Rechte, die diese vor nationalen Gerichten gegen die Mitgliedstaaten geltend machen können?

Bei Bejahung der ersten beiden Fragen:

3. Stellt die Durchführung und Anwendung der Steuerbefreiung nach Kapitel 3 § 2 Absatz 2 des Mehrwertsteuergesetzes (1994:200) einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, der so schwerwiegend (qualifiziert) ist, dass er die Haftung des Mitgliedstaats begründen kann?

Entscheidungsgründe

Zur ersten Frage

17. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen sowie die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung einschließlich der von Einrichtungen mit Gewinnstreben erbrachten Dienstleistungen allgemein von der Mehrwertsteuer befreit.

18. Die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen sowie die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport oder die Körperertüchtigung sind Dienstleistungen im Sinne des Artikels 6 der Sechsten Richtlinie. Diese Tätigkeiten unterliegen daher nach deren Artikel 2 Absatz 1 grundsätzlich der Mehrwertsteuer.

19. Als Ausnahme vom Grundsatz des Artikels 2 sieht Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m der Sechsten Richtlinie eine Steuerbefreiung für im Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen vor. Diese Befreiung ist jedoch ausdrücklich auf Dienstleistungen beschränkt, die von Einrichtungen ohne Gewinnstreben erbracht werden. Folglich fallen von Dienstleistenden mit Gewinnstreben erbrachte Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich der Befreiung. Daher verstößt das Kapitel 3 des Mehrwertsteuergesetzes, soweit es in § 2 Absatz 2 für solche Dienstleistungen eine allgemeine, nicht auf Dienstleistende ohne Gewinnstreben beschränkte Steuerbefreiung vorsieht, gegen den Wortlaut der entsprechenden Bestimmungen der Sechsten Richtlinie.

20. Der schwedische Staat macht zur Rechtfertigung der nationalen Regelung geltend, im Ausgangsrechtsstreit sei eine andere Bestimmung anzuwenden, nämlich Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, wonach Umsätze der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Steuer befreit seien. Prägend für die Tätigkeit von Lindöpark sei die Vermietung eines Golfplatzes, also eines Grundstücks, an ihre Kunden. Folglich sei die Tätigkeit von Lindöpark zu Recht von der Steuer befreit worden.

21. Im Rahmen der ihm vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen hat der Gerichtshof diesem Gericht Kriterien zu liefern, anhand deren es prüfen kann, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche mit der Sechsten Richtlinie vereinbar ist. Wie im Ausgangsrechtsstreit angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles zu entscheiden ist, ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, das insoweit allein zuständig ist.

22. Zwar ist bei der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung nicht ausgeschlossen, dass die Zurverfügungstellung von Räumen für die Ausübung von Sport oder die Körperertüchtigung unter besonderen Umständen eine Vermietung eines Grundstücks darstellen und damit in den Anwendungsbereich der Befreiung nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie fallen kann. Einen solchen Sonderfall betrifft diese Regelung aber nicht, sondern sie befreit allgemein sämtliche Dienstleistungen, die mit Sport und Körperertüchtigung zusammenhängen, ohne zwischen Dienstleistungen, die eine Vermietung darstellen, und sonstigen Dienstleistungen zu unterscheiden. Dadurch führt sie eine neue Kategorie von Steuerbefreiungen ein, die in der Sechsten Richtlinie nicht vorgesehen ist.

23. Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen sowie die Überlassung von Gerätenoderanderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung einschließlich der von Einrichtungen mit Gewinnstreben erbrachten Dienstleistungen allgemein von der Mehrwertsteuer befreit.

24. Ob Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie auf den Ausgangsrechtsstreit anzuwenden ist, hat das vorlegende Gericht zu entscheiden; der Gerichtshof kann insoweit nur einige Hinweise geben, die sich aus der ständigen Rechtsprechung ergeben.

25. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben sind, eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (vgl. insbesondere Urteile vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87, Stichting Uitvoering Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 13, und vom 12. September 2000 in den Rechtssachen C-358/97, Kommission/Irland, Randnr. 52, sowie C-359/97, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 64).

26. Die Dienstleistungen, die mit Sport und Körperertüchtigung zusammenhängen, sind möglichst als Gesamtheit zu würdigen. Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, ist für die Frage, wie ein steuerbarer Umsatz einzuordnen ist, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände anzustellen, unter denen der Umsatz erfolgt (vgl. Urteil vom 2. Mai 1996 in der Rechtssache C-231/94, Faaborg-Gelting Linien, Slg. 1996, I-2395, Randnr. 12). Wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, umfasst die Tätigkeit des Betriebes eines Golfplatzes im Allgemeinen nicht nur die passive Zurverfügungstellung eines Geländes, sondern außerdem seitens des Dienstleistenden eine Vielzahl geschäftlicher Tätigkeiten wie Aufsicht, Verwaltung und ständige Unterhaltung, Zurverfügungstellung anderer Anlagen u. ä. Sofern nicht ganz besondere Umstände vorliegen, kann die Vermietung des Golfplatzes also nicht die ausschlaggebende Dienstleistung darstellen.

27. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Zurverfügungstellung eines Golfplatzes gewöhnlich nach Gegenstand und Dauer der Benutzung beschränkt sein kann. Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Dauer der Grundstücksnutzung ein Hauptelement eines Mietvertrags bildet (Urteile Kommission/Irland, Randnr. 56, und Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 68).

28. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die Tätigkeit, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, in Anbetracht dieser Gesichtspunkte als nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit angesehen werden kann.

Zur zweiten Frage

29. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 17 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit den Artikeln 2, 6 und 13 der Sechsten Richtlinie so klar, genau und unbedingt ist, dass sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat vor eineminnerstaatlichen Gericht darauf berufen kann.

30. Zur Beantwortung dieser Frage genügt der Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes zur unmittelbaren Wirkung der Richtlinien (vgl. Urteil vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53, Randnrn. 17 bis 25).

31. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass sich die Einzelnen ungeachtet des verhältnismäßig weiten Ermessensspielraums, über den die Mitgliedstaaten bei der Durchführung bestimmter Vorschriften der Sechsten Richtlinie verfügen, vor den innerstaatlichen Gerichten auf diejenigen Vorschriften der Richtlinie berufen können, die hinreichend klar, genau und unbedingt sind (vgl. Urteile vom 20. Oktober 1993 in der Rechtssache C-10/92, Balocchi, Slg. 1993, I-5105, Randnr. 34, und vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93, BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 34).

32. Dies hat der Gerichtshof für Artikel 17 Absätze 1 und 2 (Urteil BP Soupergaz, Randnr. 36) und Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 1 (Urteil Becker, Randnr. 49) der Sechsten Richtlinie bereits ausdrücklich anerkannt. Auch Artikel 2, Artikel 6 Absatz 1, der im Ausgangsrechtsstreit allein einschlägig ist, und Artikel 13 Teil B Buchstabe b erfüllen die Kriterien nach der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung, wie der Generalanwalt in den Nummern 45 und 46 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.

33. Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 17 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit den Artikeln 2, 6 Absatz 1 und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie so klar, genau und unbedingt ist, dass sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat vor einem innerstaatlichen Gericht darauf berufen kann.

Zur dritten Frage

34. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Durchführung einer nicht in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Befreiung von der Mehrwertsteuer für die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen und für die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung eine qualifizierte Verletzung des Gemeinschaftsrechts darstellt, die die Haftung des Mitgliedstaats begründen kann.

35. Wie der Gerichtshof in der Antwort auf die zweite Frage festgestellt hat, verleiht Artikel 17 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit den Artikeln 2, 6 Absatz 1 und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie den Einzelnen Rechte, die sie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat vor einem innerstaatlichen Gericht geltend machen können. Folglich kann Lindöpark die Forderungen, die sie zu haben glaubt, gegen den schwedischen Staat für die Vergangenheit geltend machen und sich dafür unmittelbar auf die ihr günstigen Vorschriften der Sechsten Richtlinie stützen. Eine auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts gestützte Schadensersatzklage scheint daher auf den ersten Blick nicht erforderlich.

36. Zur Beantwortung der vorliegenden Frage ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, nach ständiger Rechtsprechung aus dem Wesen der mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsordnung folgt (vgl. insbesondere Urteile vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31; vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20; vom 17. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Denkavit u. a., Slg. 1996, I-5063, Randnr. 47, und vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-319/96, Brinkmann, Slg. 1998, I-5255, Randnr. 24).

37. Desgleichen hat der Gerichtshof angesichts der Umstände des jeweiligen Falles entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht einen Entschädigungsanspruch anerkennt, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (vgl. die Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 51; Dillenkofer u. a., Randnrn. 21 und 23; Denkavit u. a., Randnr. 48, und Brinkmann, Randnr. 25; vgl. außerdem Urteile vom 15. Juni 1999 in der Rechtssache C-140/97, Rechberger u. a., Slg. 1999, I-3499, Randnr. 21, und vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C-424/97, Haim, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 36).

38. Es ist zwar grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Haftung des Mitgliedstaats wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts erfüllt sind, doch kann der Gerichtshof einige Umstände erläutern, die die nationalen Gerichte bei ihrer Würdigung berücksichtigen können. Im Ausgangsrechtsstreit fragt das nationale Gericht den Gerichtshof nach den Voraussetzungen einer qualifizierten Verletzung des Gemeinschaftsrechts.

39. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein Verstoß als hinreichend qualifiziert anzusehen, wenn ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Rechtsetzungsbefugnis deren Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat. Insoweit gehört zu den Gesichtspunkten, die das zuständige Gericht gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, namentlich das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift (Urteil Rechberger u. a., Randnr. 50).

40. Wie im Rahmen der Antworten auf die erste und die zweite Frage festgestellt wurde, zeigen die im Ausgangsrechtsstreit fraglichen Bestimmungen des Mehrwertsteuergesetzes eindeutig, dass die vom schwedischen Gesetzgeber vorgesehene allgemeine Befreiung in der Sechsten Richtlinie keine Grundlage hat und daher mit dieser seit dem Beitritt des Königreichs Schweden zur Europäischen Union unvereinbar ist. Angesichts des eindeutigen Wortlauts dieser Richtlinie hatte der Mitgliedstaat keine gesetzgeberische Wahlmöglichkeit und verfügte nur über einen erheblich oder gar auf Null reduzierten Ermessensspielraum. Unter diesen Umständen kann die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts genügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu begründen (vgl. Urteile vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 28, und Dillenkofer u. a., Randnr. 25). Im Übrigen zeigt der Umstand, dass die im Ausgangsrechtsstreit fragliche nationale Regelung mit Wirkung vom 1. Januar 1997, also zwei Jahre nach dem Beitritt, aufgehoben wurde, dass der schwedische Gesetzgeber diese Unvereinbarkeit erkannt hatte.

41. Der schwedische Staat trägt vor, eine etwaige Verletzung des Gemeinschaftsrechts sei jedenfalls entschuldbar, da noch keine Erläuterungen des Gerichtshofes zu den anwendbaren Bestimmungen der Sechsten Richtlinie vorgelegen hätten und dasVertragsverletzungsverfahren der Kommission noch nicht anhängig gewesen sei, so dass er hinsichtlich der Bedeutung des fraglichen Gemeinschaftsrechts über keinen verlässlichen Anhaltspunkt verfügt habe. Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Wie sich nämlich aus den Nummern 73 und 74 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, gab es hinsichtlich der Bedeutung der fraglichen Bestimmungen keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel, der den beanstandeten Verstoß entschuldigen könnte.

42. Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Durchführung einer nicht in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Befreiung von der Mehrwertsteuer für die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen und für die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung eine qualifizierte Verletzung des Gemeinschaftsrechts darstellt, die die Haftung des Mitgliedstaats begründen kann.

Kosten

43. Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Svea hovrätt mit Beschluss vom 26. März 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe m und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage stehen einer nationalen Regelung entgegen, die die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen sowie die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung einschließlich der von Einrichtungen mit Gewinnstreben erbrachten Dienstleistungen allgemein von der Mehrwertsteuer befreit.

2. Artikel 17 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit den Artikeln 2, 6 Absatz 1 und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ist so klar, genau undunbedingt, dass sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat vor einem innerstaatlichen Gericht darauf berufen kann.

3. Die Durchführung einer nicht in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie 77/388 vorgesehenen allgemeinen Befreiung von der Mehrwertsteuer für die Zurverfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen und für die Überlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung stellt eine qualifizierte Verletzung des Gemeinschaftsrechts dar, die die Haftung des Mitgliedstaats begründen kann.

Unterschriften

Edward, Jann, Sevón

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Januar 2001.

Der Kanzler

R. Grass

Der Präsident der Fünften Kammer

A. La Pergola

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2001, 44
Haufe-Index, 505690

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