EuGH, Urteil vom 04.06.2009, Rs. C-102/08:

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

4. Juni 2009

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 4 – Befugnis der Mitgliedstaaten, die Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach den Art. 13 und 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen – Modalitäten der Ausübung – Recht auf Vorsteuerabzug – Größere Wettbewerbsverzerrungen“

In der Rechtssache C‑102/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 5. März 2008, in dem Verfahren

Finanzamt Düsseldorf-Süd

gegen

SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft mbH & Co. Objekt Offenbach KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Ó Caoimh, J. N. Cunha Rodrigues, J. Klučka und A. Arabadjiev (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft mbH & Co. Objekt Offenbach KG, vertreten durch Wirtschaftsprüfer/Steuerberater U. Prinz und Rechtsanwalt A. Cordewener,

– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,

– von Irland, vertreten durch D. O’Hagan und M. MacGrath als Bevollmächtigte sowie N. Travers, BL,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Düsseldorf-Süd (im Folgenden: Finanzamt) und der SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft mbH & Co. Objekt Offenbach KG (im Folgenden: Salix) über das Recht auf Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes, das anschließend an eine Einrichtung des öffentlichen Rechts vermietet wurde, die ihrerseits einen Teil davon langfristig an mehrwertsteuerpflichtige Dritte untervermietet hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Nach Art. 2 der Sechsten Richtlinie unterliegen „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“, der Mehrwertsteuer.

4 Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie lautet:

„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13 oder 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.“

5 Gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b Abs. 1 der Sechsten Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten „die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme … der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen“.

6 Nach Art. 13 Teil C der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken für eine Besteuerung zu optieren; die Mitgliedstaaten können sowohl den Umfang des Optionsrechts einschränken als auch die Modalitäten seiner Ausübung bestimmen.

Nationales Recht

7 In § 2 Abs. 1 und 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (BGBl. 1993 I S. 565) in seiner 1995 geltenden Fassung (im Folgenden: UStG) hieß es:

„(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.

(3) Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes) und ihrer land‑ oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. …“

8 Nach § 4 Abs. 12 Buchst. a UStG waren von den unter § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen „die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken, von Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und von staatlichen Hoheitsrechten, die Nutzungen von Grund und Boden betreffen“, steuerfrei.

9 Gemäß § 9 Abs. 1 UStG kann der „Unternehmer … einen Umsatz, der nach § 4 … Nr. 12 … steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt ist“.

10 Nach § 9 Abs. 2 UStG war der Verzicht auf die Steuerbefreiung nur zulässig, „soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen nachzuweisen.“

11 § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes (BGBl. 1991 I S. 637) in seiner 1995 geltenden Fassung (im Folgenden: KStG) sah vor, dass „Betriebe gewerblicher Art“ von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben, unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind.

12 § 4 KStG bestimmte:

„(1) Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 sind vorbehaltlich des Absatzes 5 alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land‑ und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.

(2) Ein Betrieb gewerblicher Art ist auch unbeschränkt steuerpflichtig, wenn er selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist.

(4) Als Betrieb gewerblicher Art gilt die Verpachtung eines solchen Betriebs.

(5) Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Für die Annahme eines Hoheitsbetriebs reichen Zwangs‑ oder Monopolrechte nicht aus.“

13 Im Vorlagebeschluss heißt es, dass im Bereich der Besteuerung von Körperschaften die langfristige Vermietung unbeweglichen Vermögens nicht unter die Tätigkeiten eines „Betriebs gewerblicher Art“ subsumiert werde. Das ergebe sich nach einer Ansicht aus der rechtlichen Fiktion des § 4 Abs. 4 KStG, nach einer anderen aus § 14 der Abgabenordnung 1977 in ihrer 1995 geltenden Fassung (im Folgenden: AO).

14 § 14 AO bestimmte, dass ein „wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb … eine selbständige nachhaltige Tätigkeit [ist], durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich. Eine Vermögensverwaltung liegt in der Regel vor, wenn Vermögen genutzt, zum Beispiel Kapitalvermögen verzinslich angelegt oder unbewegliches Vermögen vermietet oder verpachtet wird.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15 Am 20. März 1995 schloss Salix, eine Grundstücks‑Vermietungsgesellschaft, einen „Immobilien‑Leasingvertrag“ mit der Industrie‑ und Handelskammer Offenbach (nachfolgend: IHK), einer Einrichtung des öffentlichen Rechts. Darin verpflichtete sie sich, der IHK ein noch zu errichtendes Verwaltungsgebäude mit Tiefgarage für 27 Jahre zur Miete zu überlassen.

16 Im selben Jahr stellte Salix das Gebäude fertig und der IHK zur Verfügung. Diese nutzte einen Teil der Büroräume für eigene Zwecke und vermietete den Rest an umsatzsteuerpflichtige Dritte langfristig weiter. In Bezug auf die Tiefgarage behielt sich die IHK ebenfalls einen Teil der Stellplätze zur eigenen Nutzung vor, einen anderen Teil vermietete sie langfristig an die Mieter der Büroflächen weiter; die restlichen Stellplätze stellte sie kurzfristig und gegen Entgelt Fremdparkern zur Verfügung.

17 Um die im Rahmen der Errichtung des Gebäudes entrichteten Vorsteuern, die auf den von der IHK weitervermieteten Teil des Gebäudes entfielen, in Abzug bringen zu können, verzichtete Salix gemäß § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerbefreiung ihrer Vermietungsumsätze nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Sie ging davon aus, dass ihr aufgrund dieses Verzichts ein Recht auf Vorsteuerabzug zustehe, da sie das Gebäude an einen anderen Unternehmer, nämlich an die IHK, für dessen Unternehmen vermiete, der es seinerseits teilweise für Umsätze verwende, die zum Vorsteuerabzug berechtigten.

18 Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei Salix lehnte der Prüfer den Vorsteuerabzug für den langfristig weitervermieteten Teil des Gebäudes jedoch mit der Begründung ab, dass die IHK durch die Weitervermietung nicht im Sinne von § 9 Abs. 1 UStG „unternehmerisch“ tätig geworden sei.

19 Hierzu stellte der Prüfer fest, nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG könnten juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen eines „Betriebs gewerblicher Art“, wie er in § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG definiert sei, unternehmerisch tätig sein.

20 Nur die kurzfristige Vermietung könne als Tätigkeit im Rahmen eines „Betriebs gewerblicher Art“ im Sinne der zitierten Bestimmungen angesehen werden; die langfristige Vermietung falle als bloße Vermögensverwaltung nicht unter diese Tätigkeit.

21 Infolgedessen erließ das Finanzamt am 20. April 2001 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1995, mit dem der Abzug der im Rahmen der Errichtung des Gebäudes gezahlten Vorsteuern, die auf den von der IHK langfristig weitervermieteten Teil des Gebäudes entfielen, verwehrt wurde.

22 Die für die Besteuerung der IHK zuständigen Finanzbehörden waren allerdings anderer Auffassung. Sie bejahten sowohl die Unternehmereigenschaft der IHK hinsichtlich ihrer gesamten Weitervermietungstätigkeit als auch die Wirksamkeit ihres Verzichts auf die Steuerbefreiung dieser Tätigkeiten.

23 Nach Zurückweisung ihres Einspruchs gegen den geänderten Steuerbescheid erhob Salix Klage beim Finanzgericht Düsseldorf.

24 Das Finanzgericht gab der Klage von Salix statt. Die IHK sei zwar, soweit sie ihrerseits langfristig weitervermietet habe, nach deutschem Umsatzsteuerrecht nicht unternehmerisch tätig geworden, doch sei sie auf der Grundlage einer mit Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 4 der Sechsten Richtlinie konformen Auslegung des nationalen Rechts als Steuerpflichtiger und damit als „Unternehmer“ zu behandeln.

25 Würde der IHK die Möglichkeit genommen, für die Steuerpflicht zu optieren und dementsprechend die Vorsteuer abzuziehen, würde sie nach Ansicht des Finanzgerichts Düsseldorf durch die Versagung der Unternehmereigenschaft gegenüber ihren privaten Mitbewerbern auf den relevanten Märkten benachteiligt. Dies könne „größere Wettbewerbsverzerrungen“ hervorrufen, die nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vermieden werden sollten.

26 Das Finanzamt legte Revision zum Bundesfinanzhof ein, mit der es die Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts Düsseldorf und die Abweisung der Klage von Salix beantragt. Zur Begründung der Revision macht das Finanzamt geltend, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich, dass der Begriff einer „größeren Wettbewerbsverzerrung“ ausschließlich dem Schutz der Privatwirtschaft, d. h. steuerpflichtiger privater Unternehmen, vor dem Wettbewerb nicht steuerpflichtiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts diene. Die Anwendung der genannten Bestimmung auch zum Vorteil von Einrichtungen des öffentlichen Rechts liefe daher dem mit der Bestimmung verfolgten Zweck zuwider.

27 Der Bundesfinanzhof ist erstens der Auffassung, dass sich die Mitgliedstaaten nur dann auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befugnis berufen könnten, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit seien, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt oblägen, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in diesem Sinne getroffen worden sei.

28 Insoweit ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass die Steuerpflicht der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die Grundstücke vermieten und verpachten, in Deutschland nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Ob diese Einrichtungen, wenn sie derartige Umsätze tätigen, steuerpflichtig sind, hängt im Ausgangsverfahren ausschließlich von der Auslegung des Begriffs „Vermögensverwaltung“ ab. Dieser Begriff findet sich jedoch nicht in den einschlägigen Vorschriften, weder in § 2 Abs. 3 UStG noch in § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG, noch in § 4 KStG, noch in einer in diesen Vorschriften enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung an die Verwaltung.

29 Zweitens sieht sich der Bundesfinanzhof vor die Frage gestellt, ob die Anwendung von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie im Ausgangsverfahren ausgeschlossen ist, weil anstelle eines ihrer privaten Wettbewerber die IHK selbst größere Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des Unterabs. 2 derselben Vorschrift erleiden könnte, wenn ihre auf langfristige Weitervermietung gerichteten Tätigkeiten als nicht steuerpflichtig angesehen würden.

30 So bezwecke Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie zwar in erster Linie den Schutz der Privatwirtschaft vor unbesteuerten Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Dies schließe aber nicht aus, dass der dort vorgesehene Wettbewerbsvorbehalt auch diesen Einrichtungen zugutekommen könne. Nach dem Wortlaut des Unterabs. 2 enthalte dieser Wettbewerbsvorbehalt keine Einschränkungen; vielmehr komme es danach auf den Eintritt größerer Wettbewerbsverzerrungen an, bei wem auch immer diese einträten. Allerdings finde jede der beiden gegensätzlichen Auslegungen eine Stütze in der Rechtsprechung des Gerichtshofs.

31 Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Können die Mitgliedstaaten Tätigkeiten von Staaten, Ländern, Gemeinden oder sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, nur dadurch gemäß Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie als Tätigkeiten „behandeln“, die diesen Einrichtungen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, wenn die Mitgliedstaaten eine dahin gehende ausdrückliche gesetzliche Regelung treffen?

2. Können „größere Wettbewerbsverzerrungen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 in Verbindung mit Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie nur dann vorliegen, wenn die Behandlung einer Einrichtung des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten konkurrierender privater Steuerpflichtiger führen würde, oder auch dann, wenn die Behandlung einer Einrichtung des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zu ihren Lasten führen würde?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

32 Mit seiner ersten Frage möchte der Bundesfinanzhof wissen, ob sich die Mitgliedstaaten nur dann auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befugnis berufen können, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in diesem Sinne getroffen wird.

Beim Gerichtshof abgegebene Erklärungen

33 Nach Ansicht von Salix folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Mitgliedstaaten, um sich auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befugnis berufen zu können, Rechtsetzungsakte erlassen müssten, die ausdrücklich auf diese Befugnis Bezug nähmen. So seien die Mitgliedstaaten gehalten, Gemeinschaftsrichtlinien in Form verbindlicher innerstaatlicher Vorschriften umzusetzen, um einen festen Rahmen aufzustellen, der eindeutig sei und für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer klare Verhältnisse schaffe. Diese Akte dürften allerdings eine Delegation nachgeordneter Durchführungsbefugnisse an die Verwaltung enthalten.

34 Nach Auffassung der deutschen Regierung bedarf es zur Umsetzung von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie einer gesetzlichen Regelung, die jedoch nicht zwingend ausdrücklich sein müsse. So genüge es hinsichtlich der Umsetzung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befugnis, wenn sich der Wille des Gesetzgebers mit den anerkannten Methoden der juristischen Auslegung eindeutig den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen entnehmen lasse. Entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichs seien aber gesetzliche Regelungen zur Umsetzung der betreffenden Vorschrift erlassen worden.

35 Irland trägt vor, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seien die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie in ihre nationale Rechtsordnung verpflichtet, die Ziele der Richtlinie zu erreichen, blieben aber in der Wahl der zum Erreichen dieses Ergebnisses geeigneten Form und der dafür geeigneten Mittel frei. Im Ausgangsverfahren böten die deutschen Regeln, die klar zwischen Vermögensverwaltung und geschäftlichen Aktivitäten unterschieden, eine hinreichend sichere Rechtsgrundlage für die Anwendung von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie, so dass dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung keine Bedeutung zukomme.

36 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften meint, die Achtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verlange, dass Gemeinschaftsrichtlinien durch klare, formelle, direkt gegenüber den Bürgern wirkende innerstaatliche Rechtsvorschriften umgesetzt würden, die Gegenstand einer amtlichen Veröffentlichung sein müssten und deren Änderung nicht im Belieben der Verwaltung stehen dürfe. Folglich müssten die Mitgliedstaaten formell‑ oder materiell‑gesetzliche Regelungen erlassen. Im Ausgangsverfahren erweise sich eine ausdrückliche und präzise definierte Regelung als umso notwendiger, als es um die Bestimmung des Anwendungsbereichs einer Ausnahme von dem Grundsatz gehe, dass jeder, der selbständig eine der in Art. 4 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübe, steuerpflichtig sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

37 Zunächst ergibt sich aus Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie, dass die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen nicht zu den steuerbefreiten Tätigkeiten gehört. Folglich kann eine derartige Tätigkeit nicht gemäß Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie als im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübte Tätigkeit im Sinne von Unterabs. 1 dieser Bestimmung behandelt werden, wenn sie selbst diese Voraussetzung nicht erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2000, Fazenda Pública, C‑446/98, Slg. 2000, I‑11435, Randnr. 44).

38 Der Begriff der Vermietung von Grundstücken, die nach Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit ist, umfasst jedoch neben den Gegenständen, die den Hauptgegenstand dieser Vermietung bilden, notwendigerweise auch deren Zubehör. Daher kann die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen von diesem Befreiungstatbestand nicht ausgenommen werden, wenn sie mit der Vermietung von für einen anderen Gebrauch bestimmten Grundstücken eng verbunden ist, so dass beide Vermietungen einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang darstellen (Urteil vom 13. Juli 1989, Henriksen, 173/88, Slg. 1989, 2763, Randnrn. 14 und 15).

39 Im Ausgangsverfahren müsste das vorlegende Gericht gegebenenfalls prüfen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die langfristige Weitervermietung eines Teils der Tiefgaragen‑Stellplätze durch die IHK an die langfristigen Mieter der im selben Gebäude liegenden Büros zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung gehört. Sollte dies nicht der Fall sein, könnte die Weitervermietung dieser Stellplätze durch die IHK jedenfalls nicht gemäß Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie als im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübte Tätigkeit im Sinne von Unterabs. 1 dieser Bestimmung behandelt werden.

40 Was die Frage angeht, ob sich die Mitgliedstaaten nur dann auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befugnis berufen können, wenn sie zuvor eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in diesem Sinne erlassen haben, ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche und spezifische Rechtsnorm erfordert und sich auf einen allgemeinen rechtlichen Kontext beschränken kann, wenn dieser die vollständige Anwendung der Richtlinie tatsächlich hinreichend klar und bestimmt gewährleistet (Urteile vom 28. Februar 1991, Kommission/Deutschland, C‑131/88, Slg. 1991, I‑825, Randnr. 6, vom 15. November 2001, Kommission/Italien, C‑49/00, Slg. 2001, I‑8575, Randnr. 21, und vom 28. April 2005, Kommission/Italien, C‑410/03, Slg. 2005, I‑3507, Randnr. 60).

41 Um dem Erfordernis der Rechtssicherheit Genüge zu tun, ist es besonders wichtig, dass für den Fall, dass die Richtlinie dem Einzelnen Rechte verleihen soll, die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (vgl. Urteile Kommission/Deutschland, Randnr. 6, vom 15. November 2001, Kommission/Italien, Randnrn. 21 und 22, und vom 28. April 2005, Kommission/Italien, Randnr. 60).

42 Die Mitgliedstaaten sind nämlich gehalten, die Richtlinien im Interesse der in diesen Staaten ansässigen Betroffenen in einer Weise umzusetzen, die den vom Gemeinschaftsgesetzgeber vorgegebenen Erfordernissen der Klarheit und Sicherheit der Rechtslage in vollem Umfang gerecht wird. Dazu sind die Bestimmungen einer Richtlinie mit unbestreitbarer Verbindlichkeit sowie mit der erforderlichen Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umzusetzen (Urteil vom 18. Oktober 2001, Kommission/Irland, C‑354/99, Slg. 2001, I‑7657, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43 Insbesondere kann eine bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, nicht als rechtswirksame Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag angesehen werden (vgl. Urteile vom 7. März 1996, Kommission/Frankreich, C‑334/94, Slg. 1996, I‑1307, Randnr. 30, und vom 13. März 1997, Kommission/Frankreich, C‑197/96, Slg. 1997, I‑1489, Randnr. 14).

44 Zwar ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die in den Randnrn. 40 bis 43 des vorliegenden Urteils dargelegten Bedingungen, denen die Umsetzung zu genügen hat, im Ausgangsverfahren erfüllt sind, doch kann der Gerichtshof diesem Gericht, um ihm eine sachdienliche Antwort zu geben, gleichwohl alle Hinweise geben, die er für erforderlich hält (vgl. u. a. Urteile vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 30, und vom 22. Dezember 2008, Magoora, C‑414/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 33).

45 Im vorliegenden Fall ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass es nach deutschem Steuerrecht für die Frage, ob die IHK für ihre Steuerpflicht optieren kann, ausschließlich darauf ankommt, ob die Vermietung von Gebäuden durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts als unternehmerische Tätigkeit im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art oder als bloße Vermögensverwaltung angesehen wird.

46 Insoweit ergibt sich, wie in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils festgestellt, aus der Vorlageentscheidung auch, dass sich der entscheidende Begriff der Vermögensverwaltung nicht in den einschlägigen Vorschriften findet, und zwar weder im UStG noch im KStG, noch in einer in diesen Vorschriften enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung an die Verwaltung.

47 Soweit die deutsche Regierung darauf hinweist, dass § 14 AO den Begriff der Vermögensverwaltung vorsehe und ihn von den unternehmerischen Tätigkeiten unterscheide, ist festzustellen, dass der Vorlageentscheidung zufolge Fälle wie der, um den es im Ausgangsverfahren geht, nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich von § 14 AO fallen.

48 So hat das vorlegende Gericht zum einen klargestellt, dass die Unterscheidung zwischen Vermögensverwaltung und unternehmerischen Tätigkeiten in den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht auftauche. Zum anderen hat es ausdrücklich erklärt, soweit die betreffende Unterscheidung im Bereich der Körperschaftsteuer gleichwohl für anwendbar gehalten werde, ergebe sich dies lediglich mittelbar im Wege der Ableitung, nach der einen Ansicht aus § 14 AO und nach der anderen Ansicht aus § 4 Abs. 4 KStG.

49 Schließlich ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die für den Antrag der IHK auf Gewährung des Vorsteuerabzugs zuständige Finanzbehörde anders als das Finanzamt der Auffassung war, dass es sich auch bei der langfristigen Vermietung um eine unternehmerische Tätigkeit handele, die endgültig zum Steuerabzug berechtige. Die Verwaltungspraxis ist also uneinheitlich.

50 Ferner ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass in Bezug auf die Steuerpflicht der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die Gebäude vermieten oder verpachten, in Deutschland keine ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht.

51 Insoweit ist hervorzuheben, dass nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten die Befugnis – und nicht die Pflicht – haben, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Folglich muss diese Bestimmung nicht zwingend in innerstaatliches Recht umgesetzt werden.

52 Demnach müssen die Mitgliedstaaten, um die in dieser Bestimmung vorgesehene Befugnis in Anspruch nehmen zu können, die Entscheidung treffen, sich auf sie zu berufen.

53 Außerdem erlaubt es diese Befugnis den Mitgliedstaaten, sich in Bezug auf die betreffenden Tätigkeiten auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Ausnahme von der Grundregel des Art. 2 Nr. 1 und des Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie, wonach jede wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich mehrwertsteuerpflichtig ist, zu berufen.

54 Da Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie eine Ausnahme von einer der in dieser Richtlinie aufgestellten Grundregeln vorsieht, ist er jedoch eng auszulegen.

55 Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten, um sich auf die Befugnis aus Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie berufen zu können, eine ausdrückliche Entscheidung in diesem Sinne treffen müssen. Sie müssen also vorsehen, dass die jeweiligen Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandelt werden, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.

56 Insoweit können die Mitgliedstaaten die Rechtsetzungstechnik wählen, die ihnen am geeignetsten erscheint. So können sie sich z. B. darauf beschränken, die in der Sechsten Richtlinie enthaltene Formulierung oder einen gleichwertigen Ausdruck in das nationale Recht zu übernehmen, oder sie können ein Verzeichnis der Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, aufstellen, die als Tätigkeiten behandelt werden, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 1989, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., 231/87 und 129/88, Slg. 1989, 3233, Randnr. 18).

57 Eine ausführende Behörde kann nämlich durch eine gesetzliche Regelung ermächtigt werden, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, festzulegen, die als Tätigkeiten behandelt werden, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, sofern ihre Entscheidungen unbestreitbar verbindlich sind, die erforderliche Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit aufweisen und von den nationalen Gerichten überprüft werden können (vgl. entsprechend, Urteil Fazenda Pública, Randnr. 35).

58 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Mitgliedstaaten eine ausdrückliche Regelung vorsehen müssen, um sich auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befugnis berufen zu können, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.

 Zur zweiten Frage

59 Mit seiner zweiten Frage möchte der Bundesfinanzhof wissen, ob Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht nur dann als Steuerpflichtige gelten, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten ihrer privaten Wettbewerber führen würde, sondern auch dann, wenn sie derartige Verzerrungen zu ihren eigenen Lasten zur Folge hätte.

Beim Gerichtshof abgegebene Erklärungen

60 Salix, die deutsche Regierung und die Kommission führen aus, der Wortlaut des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie erfasse unterschiedslos alle „größeren Wettbewerbsverzerrungen“, wer auch immer deren Opfer sei. Die Behandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige, in deren Folge diese vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen würden, könne auch zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten des Nichtsteuerpflichtigen führen. Sobald es zu Wettbewerbsverzerrungen komme, sei es zugunsten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, sei es zugunsten ihrer privaten Wettbewerber, liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Steuerneutralität als Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich der Mehrwertsteuer vor. Diese Auslegung entspreche dem Gedanken, dass der Wettbewerb als solcher geschützt werde, und zwar ohne Rücksicht auf die subjektive Qualität des jeweils betroffenen einzelnen Marktteilnehmers.

61 Demgegenüber trägt Irland vor, zwar werde in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie der Begriff „größere Wettbewerbsverzerrungen“ nicht näher erläutert, doch wolle Art. 4 Abs. 5 die Einrichtungen des öffentlichen Rechts vom Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie ausnehmen. Es habe nie in der Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers gelegen, den Einrichtungen des öffentlichen Rechts eine Berufung auf diese Ausnahmebestimmung zu ermöglichen, um eine Steuerpflichtigkeit ihrer Tätigkeiten herbeizuführen. Außerdem würde eine solche Auslegung zu einer Aushöhlung des den Mitgliedstaaten nach Unterabs. 4 dieser Bestimmung zustehenden Ermessens führen und im Übrigen dem Zweck von Unterabs. 2 zuwiderlaufen, der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darin bestehe, die privaten Wettbewerber vor der Tätigkeit der Einrichtungen des öffentlichen Rechts zu schützen.

Würdigung durch den Gerichtshof

62 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie die Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige gelten, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, und dass gemäß Unterabs. 4 derselben Bestimmung die Mitgliedstaaten die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln können, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.

63 Selbst wenn diese Einrichtungen solche Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben, gelten sie jedoch nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie als Steuerpflichtige, sofern ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

64 Das vorlegende Gericht hat daher in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die Vermietungstätigkeit der IHK eine Tätigkeit darstellt, die von einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 der Sechsten Richtlinie ausgeübt wird. Nur wenn dies der Fall ist, kommt Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 zur Anwendung (vgl. in diesem Sinne Urteile Fazenda Pública, Randnr. 43, und vom 16. September 2008, Isle of Wight Council u. a., C‑288/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnrn. 30 bis 32).

65 Erstens gelten nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, falls sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, „sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde“.

66 Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie lässt demnach nicht erkennen, welche Personen mit dieser Bestimmung vor diesen größeren Wettbewerbsverzerrungen geschützt werden sollen, die durch die Behandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige verursacht werden.

67 Zweitens soll Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, indem er eine Ausnahme von der Behandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige in Bezug auf Tätigkeiten oder Leistungen vorsieht, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, die in Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie aufgestellte Grundregel wieder aufleben lassen, wonach jede wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegt (vgl. Urteil Isle of Wight Council u. a., Randnr. 38).

68 Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie darf daher nicht eng ausgelegt werden (vgl. Urteil Isle of Wight Council u. a., Randnr. 60).

69 Was drittens die Ziele von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie angeht, auf die insbesondere Irland verweist, deutet nichts darauf hin, dass diese Bestimmung bezweckte, den Einrichtungen des öffentlichen Rechts die Folgen größerer Wettbewerbsverzerrungen aufzubürden, die sich aus ihrer Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund der Unterabs. 1 oder 4 ergeben könnten.

70 Viertens ist daran zu erinnern, dass das in den Art. 17 ff. der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (vgl. u. a. Urteile vom 6. Juli 1995, BP Soupergaz, C‑62/93, Slg. 1995, I‑1883, Randnr. 18, vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a., C‑110/98 bis C‑147/98, Slg. 2000, I‑1577, Randnr. 43, und vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling, C‑439/04 und C‑440/04, Slg. 2006, I‑6161, Randnr. 47).

71 Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. u. a. Urteile vom 22. Februar 2001, Abbey National, C‑408/98, Slg. 2001, I‑1361, Randnr. 24, vom 21. April 2005, HE, C‑25/03, Slg. 2005, I‑3123, Randnr. 70, sowie Kittel und Recolta Recycling, Randnr. 48).

72 Folglich besteht das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich in der gesamten Kette von Lieferungen und Leistungen, die von Steuerpflichtigen als solchen für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeiten anderer Steuerpflichtiger erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Januar 2006, Optigen u. a., C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, Slg. 2006, I‑483, Randnr. 52, sowie Kittel und Recolta Recycling, Randnr. 45).

73 Es lässt sich aber nicht ausschließen, dass es Rückwirkungen in der Kette der Lieferungen und Leistungen zum Nachteil von Steuerpflichtigen hat, die im privaten Sektor tätig sind, wenn eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die bestimmte Tätigkeiten und Leistungen ausübt bzw. erbringt, als Nichtsteuerpflichtige behandelt wird und dadurch vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.

74 Tatsächlich hat im Ausgangsverfahren, wie in den Randnrn. 17 bis 21 des vorliegenden Urteils festgestellt, die Behandlung der IHK als Nichtsteuerpflichtige Salix als juristische Person des Privatrechts daran gehindert, das Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch zu nehmen.

75 Aus alledem ergibt sich, dass Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie auch die Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts erfasst.

76 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht nur dann als Steuerpflichtige gelten, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten ihrer privaten Wettbewerber führen würde, sondern auch dann, wenn sie derartige Verzerrungen zu ihren eigenen Lasten zur Folge hätte.

Kosten

77 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Mitgliedstaaten müssen eine ausdrückliche Regelung vorsehen, um sich auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgesehene Befugnis berufen zu können, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.

2. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist dahin auszulegen, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht nur dann als Steuerpflichtige gelten, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten ihrer privaten Wettbewerber führen würde, sondern auch dann, wenn sie derartige Verzerrungen zu ihren eigenen Lasten zur Folge hätte.

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