Überlassung von Hebedaten und Gebühreneinzug durch kommunalen Eigenbetrieb als verdeckte Gewinnausschüttung – KStG 1977 § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 3 Satz 2
Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht
J R 108-109/95
Urteil vom 10.Juli 1996
Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlassung von Hebedaten und Gebühreneinzug durch kommunalen Eigenbetrieb als verdeckte Gewinnausschüttung – Einkommensermittlung für Betrieb gewerblicher Art – § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 bloße Gewinnkorrekturvorschrift ohne sozialpolitische Nebenzwecke
Leitsatz
1. Lesen Bedienstete eines Betriebs gewerblicher Art (Wasser-)Meßeinrichtungen ab und stellt der Betrieb gewerblicher Art die Ableseergebnisse (Hebedaten) der Trägerkörperschaft zu deren hoheitlichen Zwecken (Abwassergebührenerhebung) zur Verfügung, ohne hierfür ein im Geschäftsverkehr übliches Entgelt zu verlangen, so liegt darin eine verdeckte Gewinnausschüttung.
Orientierungssatz
1. Bei der Ermittlung des Einkommens für einen Betrieb gewerblicher Art ist so zu verfahren, als ob der Betrieb ein selbständiges Steuerrechtssubjekt in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und die Trägerkörperschaft deren Alleingesellschafter wäre. Diese Gleichstellung findet allerdings dort ihre Grenze, wo die Besonderheiten des Betriebs gewerblicher Art eine andere Sachbehandlung gebieten. Somit sind auch die Grundsätze über die verdeckte Gewinnausschüttung regelmäßig anwendbar, unabhängig davon, ob es sich um eine verhinderte Vermögensmehrung oder um eine Vermögensminderung handelt.
2. Bei § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 handelt es sich um eine Gewinnkorrekturvorschrift. Weitergehende Zwecke, insbesondere auch solche sozialpolitischer Art, sind mit ihr nicht verbunden. Stellen sich infolge steuerlicher Regelungen insoweit unerwünschte Wirkungen ein, wäre es Sache des Gesetzgebers, dem anderweitig zu begegnen.
Normenkette
KStG 1977 § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1, § 4 Abs. 3
Rechtszug
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 13.09.1995; Aktenzeichen I 219/91)
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 13.09.1995; Aktenzeichen I 220/91)
Diese Entscheidung wird zitiert von
BFH – 27.06.2001 – I R 82-85/00 – (V)
BFH – 17.05.2000 – I R 50/98 – (V)
BFH – 17.05.2000 – I R 79/99 – (V)
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gemeinde, ist Trägerkörperschaft der Gemeindewerke, eines Eigenbetriebs, der für die kommunale Wasserversorgung zuständig ist. Die Gemeindewerke berechnen für die Klägerin die von den Abnehmern zu zahlenden Kanal- und Abwassergebühren und ziehen diese für die Klägerin ein. Das hat seine Grundlage darin, daß gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Kanal- und Abwassergebühren als auch für die Wasserentgelte der von den Gemeindewerken gemessene Reinwasserverbrauch darstellt.
Für die Erhebung und Einziehung der Gebühren vergütete die Klägerin an die Gemeindewerke in den Streitjahren 1985 bis 1987 jeweils 25 799 DM. Der Betrag ergab sich aus einer Berechnung der geschätzten anteiligen Personal- und Sachkosten im Jahr 1985, die aus Gründen der Vereinfachung für 1986 und 1987 übernommen wurden. In diese Berechnung einbezogen wurden das Gehalt der Angestellten, die für die Abrechnung zuständig waren, sowie für den Buchhalter. Bei den Sachkosten wurden pauschal anteilige Kosten für das Rechenzentrum und allgemeine Bürokosten berücksichtigt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) sah in dieser Vorgehensweise partiell eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA), da –über die weiterberechneten Beträge für Sach- und Personalaufwendungen hinaus– sämtliche Kosten der Messung (einschließlich Absetzung für Abnutzung der Zähler, deren Unterhaltung, Lohnkosten für die Ableser) sowohl auf die Gemeindewerke als auch auf die Klägerin als Nutznießer der Meßergebnisse gleichmäßig zu verteilen seien. Auf dieser Grundlage ermittelte das FA für die Streitjahre vGA und setzte hiernach die Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Meßbeträge fest.
Das Finanzgericht (FG) gab den nach erfolglosen Vorverfahren erhobenen Klagen der Klägerin, soweit sie die hier noch streitgegenständlichen Fragen betreffen, statt. Die Entscheidungsgründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 155 abgedruckt.
Mit seinen Revisionen rügt das FA Verletzung von § 8 Abs.3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1977).
Es beantragt, die FG-Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die –gemäß § 121 i.V.m. § 73 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen– Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Abweisung der Klagen.
1. Gemäß § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 sind bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens vGA zu berücksichtigen; sie mindern das Einkommen nicht. Für die Ermittlung des Gewerbeertrages gilt Entsprechendes (§ 7 Abs.1 des Gewerbesteuergesetzes).
Unter einer vGA i.S. des § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 11. Dezember 1991 I R 49/90, BFHE 166, 545, BStBl II 1992, 434). Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der BFH eine Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (BFH-Urteil vom 16. März 1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626).
2. a) § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 findet auch auf Betriebe gewerblicher Art und damit auf die Klägerin Anwendung.
Bei den Gemeindewerken handelt es sich um einen Betrieb gewerblicher Art, mit dem die Klägerin der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs.1 Nr.6 i.V.m. § 4 Abs.1 KStG 1977) unterliegt. Soweit bei der Ermittlung des Einkommens, das die Trägerkörperschaft durch den Betrieb gewerblicher Art erzielt, Minderungen des dem Betrieb gewerblicher Art gewidmeten Vermögens zugunsten des übrigen Vermögens der Trägerkörperschaft zu beurteilen sind, ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats das Einkommen so zu ermitteln, als ob der Betrieb gewerblicher Art ein selbständiges Steuerrechtssubjekt in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft und die Trägerkörperschaft deren Alleingesellschafter wäre (s. zuletzt Urteil vom 3. Februar 1993 I R 61/91, BFHE 170, 257, BStBl II 1993, 459, m.w.N. unter B.1. der Entscheidungsgründe). Auf die Beziehungen zwischen der Klägerin (als Trägerkörperschaft) und den Gemeindewerken finden sonach auch die Grundsätze über die vGA Anwendung, wie sie zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern gelten. Der Senat verweist insoweit auf sein Urteil vom 9. August 1989 I R 4/84 (BFHE 158, 510, BStBl II 1990, 237, unter II.5.b). Er hält hieran fest und nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, darauf Bezug.
b) Die Gleichstellung des Verhältnisses zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern einerseits und einem Betrieb gewerblicher Art und seiner Trägerkörperschaft andererseits findet allerdings dort ihre Grenze, wo die Besonderheiten des Betriebs gewerblicher Art eine andere Sachbehandlung gebieten (Senatsurteil vom 14. März 1984 I R 223/80, BFHE 140, 560, BStBl II 1984, 496). Diese Besonderheiten ergeben sich aus dem Zweck des Gesetzes, die öffentliche Hand gegenüber der Privatwirtschaft steuerlich nicht zu begünstigen. Dieser Zweck gebietet es, auf den Betrieb gewerblicher Art und die Trägerkörperschaft die für das Verhältnis zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern maßgeblichen Grundsätze insoweit nicht anzuwenden, als dadurch der vom Gesetz verfolgte Zweck der Gleichstellung der Betriebe der öffentlichen Hand mit denen der Privatwirtschaft vereitelt würde.
Für den Streitfall besteht jedoch keine Veranlassung, von den zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem Gesellschafter geltenden Besteuerungsgrundsätzen abzuweichen. Entgegen der Annahme des FG ergeben sich solche Besonderheiten auch nicht dann, wenn es nicht um eine vGA in Gestalt einer Vermögensminderung, sondern einer verhinderten Vermögensmehrung geht. Vermögensminderung und verhinderte Vermögensmehrung stehen für die Beurteilung eines Vorgangs als vGA gleichwertig nebeneinander. Das eine wie das andere führt zu einem geringeren Vermögen der Körperschaft. Für die Anwendbarkeit des § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 sind diese Unterschiede jedoch ohne Bedeutung.
3. Die Voraussetzungen einer vGA sind im Streitfall in dem vom FA angenommenen Umfang auch erfüllt.
Nach den den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs.2 FGO) Feststellungen des FG haben die Gemeindewerke als Betrieb gewerblicher Art für die Klägerin als Trägerkörperschaft sowohl die Ermittlung als auch die Einziehung der Kanal- und Abwassergebühren übernommen. Darin liegt eine Vermögensverlagerung zu Lasten der Gemeindewerke. Denn die Hebedaten sind verkehrsfähig; sie stellen für den Betrieb gewerblicher Art konkrete Informationen dar, die ein ordnungsmäßig und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter üblicherweise nicht kostenlos an Dritte abgeben würde. Er würde die sich ihm bietende Möglichkeit vielmehr nutzen, diese Informationen zum Vorteil der Körperschaft gegen ein angemessenes Entgelt zu vermarkten. Daß die entsprechenden Kosten bei den Gemeindewerken ohnehin entstanden wären, weil die Ermittlung der Entgelte für den Reinwasserverbrauch zu deren Aufgabenbereich gehört, steht dem nicht entgegen. Gleichwohl handelt es sich nicht um einen bloßen Vorteilsreflex, weil die Trägerkörperschaft ansonsten eigene Ermittlungen anstellen und Messungen durchführen müßte, um an die Daten zu gelangen (zur Abgrenzung vgl. insoweit auch BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 XI R 55/93, BFHE 175, 160, BStBl II 1994, 907, zur unentgeltlichen Überlassung von Steuererklärungen durch eine Personengesellschaft an ihre Gesellschafter). Aus letztlich gleichen Gründen läßt sich auch nicht damit argumentieren, die Trägerkörperschaft erfülle mit der Ermittlung und Erfassung der Trinkwasser- und der Abwassergebühren in jedem Fall –sowohl in Gestalt des Betriebs gewerblicher Art als auch originär– eigene öffentliche Aufgaben. Würden Funktionsträger des Betriebs gewerblicher Art zugleich auch für die Trägerkörperschaft unmittelbar tätig, sei deshalb für eine vGA kein Raum; die Bediensteten könnten ihrer Doppelfunktion nicht entfliehen und seien partiell aus dem Betrieb gewerblicher Art herausgelöst tätig (so FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, Urteil vom 1. Februar 1996 6 K 51/94, EFG 1996, 449). Eine solche Sichtweise verkennt, daß Trägerkörperschaft und Betrieb gewerblicher Art steuerlich prinzipiell eben wie eine Kapitalgesellschaft und ihr Alleingesellschafter einander gegenüberstehen. Werden Bedienstete des Betriebs gewerblicher Art für diesen tätig und kommt das Ergebnis dieser Tätigkeit zugleich der Trägerkörperschaft zugute, werden die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen deshalb nicht ausgeschlossen.
Wird –wie im Streitfall– davon abgesehen, einen im Geschäftsverkehr üblichen Ausgleich für die erbrachten Leistungen zu verlangen, so ist davon auszugehen, daß dies auf der Grundlage des einem Mitgliedschaftsverhältnis ähnlichen Verhältnisses zu der Klägerin erfolgt ist. Gerade der von der Vorinstanz hervorgehobene Umstand, daß der Körperschaftsteuerpflicht der Betriebe gewerblicher Art in erster Linie wettbewerbsrechtliche Erwägungen zugrunde liegen, gebietet es, dem auch steuerlich Rechnung zu tragen. Denn auch ein privates Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft würde nicht darauf verzichten, von seinem Alleingesellschafter den vollen Ausgleich für von ihm erbrachte Leistungen zu verlangen. Daß die (anteiligen) Kosten bereits von den (Frisch-) Wasserabnehmern getragen werden und deshalb die Weiterberechnung für den Verbraucher im Ergebnis eine Gebührensteigerung nach sich ziehen kann, ändert daran nichts. Bei § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 handelt es sich um eine Gewinnkorrekturvorschrift. Weitergehende Zwecke, insbesondere auch solche sozialpolitischer Art, sind mit ihr nicht verbunden. Stellen sich infolge steuerlicher Regelungen insoweit unerwünschte Wirkungen ein, wäre es Sache des Gesetzgebers, dem anderweitig zu begegnen. Auch der Hinweis der Vorinstanz auf Abschn.32 der Körperschaftsteuer-Richtlinien und die darin getroffenen Regelungen über die steuerliche Behandlung von Konzessionsabgaben, die von einer Trägerkörperschaft einem Betrieb gewerblicher Art berechnet worden sind, hilft nicht weiter. Um Konzessionsabgaben handelt es sich im vorliegenden Fall nicht (vgl. dazu z.B. Senatsurteil vom 31. Juli 1990 I R 171/87, BFHE 163, 30, BStBl II 1991, 315; siehe auch § 8 Abs.2 der Landesverordnung über die Eigenbetriebe der Gemeinden vom 29. Dezember 1986, Gesetz- und Verordnungsblatt 1987, 11). Im Ergebnis gleiches betrifft die Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 6. Dezember 1960 I 175/59 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Körperschaftsteuergesetz a.F., § 1, Rechtsspruch 40) zur Behandlung verbilligter oder unentgeltlicher Warenabgaben aus sozialen oder kirchlichen Gründen an bedürftige Personen. Auch ein derartiger Sachverhalt ist im Streitfall nicht gegeben.
4. Die Vorinstanz ist von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen. Ihre Entscheidungen waren deshalb aufzuheben. Der Senat kann durcherkennen. Das FA hat die Hälfte der entstandenen Kosten für die Gebührenmessung als vGA angesehen und das Einkommen für die Streitjahre entsprechend ermittelt. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden und wird von der Klägerin auch nicht gerügt. Die Klagen waren danach abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index, 65881
BStBl II 1997, 230