EuGH Urteil vom 08.06.2006 – C-430/04
Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmereigenschaft, juristische Personen des öffentlichen Rechts, Unternehmer des Privatrechts als Wettbewerber zu einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, Möglichkeit der unmittelbaren Berufung auf Artikel 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie
Leitsatz
Ein Einzelner, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und der geltend macht, diese Einrichtung werde für die Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübe, nicht oder zu niedrig zur Mehrwertsteuer herangezogen, kann sich im Rahmen eines Rechtsstreits gegen die nationale Steuerverwaltung wie des Ausgangsrechtsstreits auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage berufen.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 5
Beteiligte
Finanzamt Eisleben
Feuerbestattungsverein Halle e. V.
Feuerbestattungsverein Halle
Rechtszug
BFH (Entscheidung vom 08.07.2004; Aktenzeichen VII R 24/03; BFH/NV 2004, 1577)
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Möglichkeit der Berufung auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 – Von einem privaten Steuerpflichtigen im Wettbewerb mit einer Behörde ausgeübte Tätigkeiten – Einrichtung des öffentlichen Rechts – Behandlung als Nichtsteuerpflichtige für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten“
In der Rechtssache C-430/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2004, in dem Verfahren Finanzamt Eisleben gegen Feuerbestattungsverein Halle e. V. , Beigeladene:
Lutherstadt Eisleben , erlässt DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J. Makarczyk (Berichterstatter), R. Schintgen, G. Arestis und J. Klucka,
Generalanwalt: A. Tizzano, Kanzler: R. Grass, aufgrund des schriftlichen Verfahrens, unter Berücksichtigung der Erklärungen
-des Feuerbestattungsvereins Halle e. V., vertreten durch Rechtsanwalt C. Ramme,
-der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und K. Gross alsBevollmächtigte, aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden, folgendes Urteil
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Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
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Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Eisleben (im Folgenden: Finanzamt) und dem Feuerbestattungsverein Halle e. V. (im Folgenden: Feuerbestattungsverein) wegen der Weigerung des Finanzamts, Steuerauskünfte über die Lutherstadt Eisleben, Beigeladene im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht, zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Sechste Richtlinie 3 Artikel 4 Absatz 5 Unterabsätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.“
Nationale Regelung
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§ 1 Absatz 1 Nummer 1 des Umsatzsteuergesetzes sieht vor:
„(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmenseines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt …“
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§ 2 Absätze 1 und 3 des Umsatzsteuergesetzes bestimmt:
„(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. …
…
(3)
Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art… und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. …“
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§ 30 der Abgabenordnung (AO) 1977 sieht vor:
„(1) Amtsträger haben das Steuergeheimnis zu wahren.
(2)
Ein Amtsträger verletzt das Steuergeheimnis, wenn er
1.
Verhältnisse eines anderen, die ihm
a) in einem Verwaltungsverfahren, einem Rechnungsprüfungsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen bekannt geworden sind, oder
2.
ein fremdes Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das ihm in einem der in Nummer 1 genanntenVerfahren bekannt geworden ist, unbefugt offenbart oder verwertet
(4) Die Offenbarung der nach Absatz 2 erlangten Kenntnisse ist zulässig, soweit
1. sie der Durchführung eines Verfahrens im Sinne des Absatzes 2 Nr. 1 Buchstaben a … dient …“
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§ 40 der Finanzgerichtsordnung bestimmt:
„(1) Durch Klage kann die Aufhebung … eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) oder zu einer anderen Leistung begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltendmacht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
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Der Feuerbestattungsverein ist ein gemeinnütziger Verein, der in Halle ein Krematorium betreibt. Er beantragte beim Finanzamt, ihm Auskunft darüber zu erteilen, wann und unter welcher Steuernummer gegenüber der Lutherstadt Eisleben, die ebenfalls ein Krematorium betreibt, der letzte Umsatzsteuerbescheid ergangen sei. Mit diesem Antrag machte der Verein geltend, dass die eventuelle Nichtheranziehung der Lutherstadt Eisleben zur Umsatzsteuer es dieser ermögliche, Feuerbestattungsleistungen günstiger anzubieten, als er dies könne.
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Das Finanzamt lehnte die Erteilung der beantragten Auskunft mit Bescheid vom 25. Juni 1998 unter Hinweis auf die Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses ab.
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Da sein Einspruch gegen diese ablehnende Entscheidung erfolglos blieb, erhob der Feuerbestattungsverein Klage beim Finanzgericht, das das Finanzamt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen verpflichtete, erneut über das Auskunftsbegehren zu entscheiden. Das Gericht verwies u.
a. auf § 30 Absätze 4 Nummer 1 und 2 Nummer 1 Buchstabe a AO, wonach die Offenbarung der in einemVerwaltungsverfahren erlangten Kenntnisse zulässig sei, soweit sie der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen diene. Das Gericht stellte außerdem fest, dass eine Klage des Feuerbestattungsvereins gegen die gegenüber der Lutherstadt Eisleben ergangenen Bescheide zulässig wäre, denn der Verein könne geltend machen, dass die Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung der Gemeinde ihn in seinen Rechten verletze.
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Das Finanzamt legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Revision beim Bundesfinanzhof ein. Dieser ist der Auffassung, dass die Beantwortung der Frage, ob sich der Feuerbestattungsverein als privater Unternehmer darauf berufen könne, dass die von ihm vermutete Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung der Lutherstadt Eisleben rechtswidrig sei, eine Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie erfordere.
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Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 30 Absatz 4 Nummer 1 AO für die Möglichkeit einer Offenbarung von Kenntnissen, die grundsätzlich dem Steuergeheimnis unterliegen, erfüllt.
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Das Gericht führt außerdem aus, dass die in § 40 Absatz 1 der Finanzgerichtsordnung bezeichnete Klage, die der Feuerbestattungsverein als Konkurrentenklage erheben wolle, nur zulässig sei, wenn der Kläger den Beweis erbringe, dass er durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt sei. Eine Verletzung der Rechte eines an dem Steuerschuldverhältnis nicht beteiligten Dritten komme nur in Betracht, wenn die Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung gegen eine Norm verstoße, die nicht ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden sei, sondern auch dem Schutz der Interessen einzelner an dem Steuerschuldverhältnis nicht beteiligter Dritter diene.
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Im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofes, der bereits entschieden habe, dass sich Einrichtungen des öffentlichen Rechts zur Wahrung ihrer Rechte auf Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie berufen könnten, erscheine es nicht ausgeschlossen, dass diese Bestimmung auch dem Schutz privater Wettbewerber zu dienen bestimmt sei, da eine Behandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen könne. Es sei jedoch auch ein anderes Verständnis dieser Rechtsprechung möglich, wonach Artikel 4 Absatz 5 lediglich bezwecke, die objektive Steuerneutralität zu gewährleisten, ohne dass private Wettbewerber hieraus eigene Rechte herleiten könnten.
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Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Kann sich ein privater Steuerpflichtiger, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und geltend macht, deren Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung sei rechtswidrig, auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
Entscheidungsgründe
Zur Vorlagefrage
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
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Nach Auffassung des Feuerbestattungsvereins ist die Frage des vorlegenden Gerichts zu bejahen.
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Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt vor, dass für die Nichtbesteuerung einer Einrichtung des öffentlichen Rechts zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssten, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine solche Einrichtung und die Tatsache, dass diese Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt würden (Urteil vom 14. Dezember 2000 in der Rechtssache C-446/98, Fazenda Pública, Slg. 2000, I-11435, Randnr. 15). Für die Beantwortung der Vorlagefrage erkenne sie die implizite Annahme des vorlegenden Gerichts an, dass im Ausgangsverfahren die Lutherstadt Eisleben, soweit sie ein Krematorium betreibe, hoheitlich handele und dass Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie anwendbar sei.
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Die Kommission macht unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu den Grundsätzen für die Möglichkeit einer Berufung auf die Gemeinschaftsrichtlinien (Urteile vom 16. Juni 1966 in der Rechtssache 57/65, Lütticke, Slg. 1966, 258, vom 4. Dezember 1974 in der Rechtssache 41/74, Van Duyn, Slg. 1974, 1337, und vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839) geltend, wenn eine Steuervorschrift unmittelbare Wirkungen erzeuge, sollte sie nicht nur vom Steuergläubiger oder von der besteuerten Person, sondern – über das zwischen ihr und der Steuerverwaltung bestehende bipolare Verhältnis hinaus – auch von Dritten, die von der Anwendung einer solchen Vorschrift betroffen seien, herangezogen werden können.
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Insoweit müsse eine dem gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzprinzip entsprechende Klage zulässig sein, selbst wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies in einem solchen Fall nicht vorsähen (Urteil vom 3. Dezember 1992 in der Rechtssache C-97/91, Oleificio Borelli, Slg. 1992, I-6313, Randnr. 13).
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Die Kommission schlägt daher vor, die Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass sich ein privater Steuerpflichtiger, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb stehe und geltend mache, deren Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung sei rechtswidrig, auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie berufen könne.
Antwort des Gerichtshofes
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Vorab ist festzustellen, dass der Feuerbestattungsverein, wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, mit einer Gemeinde im Wettbewerb steht, die als Einrichtung des öffentlichen Rechts eine wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübt.
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Da der Feuerbestattungsverein davon ausging, dass die Lutherstadt Eisleben, da sie nicht zur Mehrwertsteuer herangezogen werde, ihre Leistungen günstiger anbieten könne als er, wandte er sich dazu mit einem Auskunftsbegehren an die Steuerverwaltung, d. h. an das Finanzamt. Im Ausgangsverfahren geht es um die Weigerung des Finanzamts, einem Privaten, hier dem Feuerbestattungsverein, Auskünfte über diese Gemeinde, die dem Steuergeheimnis unterliegen, zu erteilen.
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Das vorlegende Gericht möchte daher im Wesentlichen wissen, ob sich ein privater Steuerpflichtiger, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht, auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie berufen kann, um geltend zu machen, dass die von ihm vermutete Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung dieser Einrichtung ihn in seinen Rechten verletze.
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Insoweit ist erstens daran zu erinnern, dass Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie den Grundsatz der steuerlichen Neutralität gewährleisten soll, der es insbesondere verbietet, dass gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden (Urteil vom 26. Mai 2005 in der Rechtssache C-498/03, Kingscrest Associates und Montecello, Slg. 2005, I-4427, Randnr. 41), und dass diese Bestimmung den Fall betrifft, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts, d. h. im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung, Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die – im Wettbewerb mit ihnen – auch von Privaten nach einer privatrechtlichen Regelung oder auf der Grundlage einer behördlichen Genehmigung ausgeübt oder erbracht werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 1989 in den Rechtssachen 231/87 und 129/88, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Slg. 1989, 3233, Randnr. 22).
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Diese Bestimmung sieht eine Ausnahme von der Regel, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die Tätigkeiten oder Leistungen, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben oder erbringen, als Nichtsteuerpflichtige behandelt werden, vor, sofern eine solche Behandlung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Urteil Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Randnr. 22).
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Falls also die Nichtbesteuerung der fraglichen wirtschaftlichen Betätigung zu Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie führen würde, wäre der Betrieb eines Krematoriums durch die Lutherstadt Eisleben nach dieser Bestimmung steuerbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2001 in der Rechtssache C-276/98, Kommission/Portugal, Slg. 2001, I-1699, Randnr. 28).
27
Es ist Sache des nationalen Gerichts, die wirtschaftlichen Umstände zu beurteilen, die gegebenenfalls eine Ausnahme von der Regel der Behandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige rechtfertigen können.
28
Zweitens entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass sich der Einzelne in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber jeder nicht richtlinienkonformen nationalen Vorschrift berufen kann; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem betreffenden Mitgliedstaat gegenüber geltend machen kann (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25, und vom 20. Mai 2003 in den Rechtssachen C-465/00, C-138/01und C-139/01, Österreichischer Rundfunk u. a., Slg. 2003, I-4989, Randnr. 98).
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Daher kann sich der Einzelne vor dem nationalen Gericht gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat immer dann auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, die ihrem Inhalt nach unbedingt und hinreichend genau erscheinen, wenn ihre vollständige Anwendung nicht tatsächlich gewährleistet ist, d. h. nicht nur im Fall der unterbliebenen oder unzureichenden Umsetzung der Richtlinie, sondern auch dann, wenn die nationalen Maßnahmen, mit denen die Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt wird, nicht so angewandt werden, dass das mit der Richtlinie verfolgte Ziel erreicht wird (Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-62/00, Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 27).
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Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, entspricht Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie den Kriterien der unmittelbaren Wirkung, da darin die Einrichtungen und Tätigkeiten, für die die Regel der Behandlung als Nichtsteuerpflichtige gilt, klar bezeichnet sind (Urteil Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Randnrn. 31 und 33).
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Da die in den Randnummern 28 und 29 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich ein Einzelner, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und der geltend macht, diese Einrichtung werde für die Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübe, nicht oder zu niedrig zur Mehrwertsteuer herangezogen, vor dem nationalen Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits gegen die nationale Steuerverwaltung wie des Ausgangsrechtsstreits auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie berufen.
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Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass sich ein Einzelner, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und der geltend macht, diese Einrichtung werde für die Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübe, nicht oder zu niedrig zur Mehrwertsteuer herangezogen, im Rahmen eines Rechtsstreits gegen die nationale Steuerverwaltung wie des Ausgangsrechtsstreits auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie berufen kann.
Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Ein Einzelner, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und der geltend macht, diese Einrichtung werde für die Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübe, nicht oder zu niedrig zur Mehrwertsteuer herangezogen, kann sich im Rahmen eines Rechtsstreits gegen die nationale Steuerverwaltung wie des Ausgangsrechtsstreits auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage berufen.