BMF-Schreiben v. 27.12.1990, IV A 2 – S 7300 – 66/90:

Umsatzsteuerliche Beurteilung der Einschaltung von Unternehmen in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben

Bundesministerium der Finanzen
IV A 2 – S 7300 – 66/90
Schreiben vom 27.12.1990

UStG § 2

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt folgendes:

I. Allgemeines

Juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Gebietskörperschaften, im folgenden: Hoheitsträger) können im Rahmen des geltenden Rechts zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichtaufgaben (z.B. Müll- und Abwasserbeseitigung) Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG (z.B. privatrechtliche Gesellschaften) einschalten. Bei eigener Durchführung der Aufgaben würden die Hoheitsträger als Letztverbraucher mit der auf den Leistungsbezügen ruhenden Umsatzsteuer belastet, da im hoheitlichen Bereich keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug besteht. Wenn jedoch der eingeschaltete Unternehmer statt des Hoheitsträgers die Leistungen bezieht, wird damit grundsätzlich die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs beim eingeschalteten Unternehmer eröffnet Andererseits sind die Leistungen des eingeschalteten Unternehmers an den Hoheitsträger steuerbar und steuerpflichtig. Bei der Einschaltung von Unternehmern in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben sind die nachfolgenden Grundsätze zu beachten. Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn sich mehrere Hoheitsträger zusammenschließen und einen Unternehmer einschalten.

II. Beurteilung der Leistungen des ein geschalteten Unternehmers an den Hoheitsträger

1. Leistungsbeziehungen

Hoheitsträger können die tatsächliche Durchführung ihrer gesetzlichen Pflichtaufgaben auf Unternehmer übertragen, nicht jedoch diese Aufgaben selbst. Berechtigt und verpflichtet gegenüber den Bürgern bleibt der Hoheitsträger. Der eingeschaltete Unternehmer erbringt seine Leistungen insoweit an den Hoheitsträger, auch wenn er das Entgelt für seine Tätigkeit (z.B. Müll- oder Abwassergebühren für die Entsorgung der Haushalte) unter Abkürzung des Zahlungsweges unmittelbar von den Bürgern erhält. Der Hoheitsträger (Nichtunternehmer) erbringt nicht steuerbare Leistungen an die Bürger.

Beispiel 1:
Mehrere Gemeinden haben eine Müllbeseitigungs-GmbH gegründet und diese mit der Abfuhr des Hausmülls der Bürger beauftragt. Die Bürger zahlen die von den Gemeinden festgesetzten Müllgebühren auf ein Konto der GmbH ein.
Die Müllbeseitigungs-GmbH erbringt ihre Leistungen an die jeweiligen Gemeinden. Die Gemeinden erbringen nicht steuerbare Leistungen an ihre Bürger. Bin Leistungsaustausch unmittelbar zwischen Müllbeseitigungs-GmbH und Bürgern findet nicht statt.

Die eingeschalteten Unternehmer können daneben allerdings auch Umsätze an andere Leistungsempfänger (z.B. Lieferung von verwertbarem Schrott an Schrotthändler oder Beseitigung von Industriemüll durch eine Abfallbeseitigungs-GmbH) ausführen.

2. Art der Leistung und Steuersatz

Die Tätigkeit des eingeschalteten Unternehmers für den Hoheitsträger ist als sonstige Leistung im Sinne des§ 3 Abs. 9 UStG steuerbar und steuerpflichtig. Diese Leistung unterliegt der Umsatzsteuer nach dem allgemeinen Steuersatz,§ 12 Abs. 1 UStG Eingeschaltete Körperschaften (z.B. eine GmbH) sind wegen fehlender Selbstlosigkeit nicht gemeinnützig tätig. Der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ist daher nicht anzuwenden.

3. Abgrenzung von steuerbaren und nicht steuerbaren Leistungen

a) Zahlungen des Hoheitsträgers an den eingeschalteten Unternehmer
Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG gehört zum Entgelt für die Leistung alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Die Zahlungen der Hoheitsträger (= Leistungsempfänger) an den eingeschalteten Unternehmer werden regelmäßig – unabhängig von ihrer Bezeichnung (z.B. als Zuschuß, Investitionskostenzuschuß, Zuwendung, Beihilfe, Verlustabdeckung usw.) und dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung – aufgrund des Leistungsaustauschverhältnisses zwischen dem Unternehmer und den Hoheitsträgern entrichtet und sind damit Entgelt für die jeweilige sonstige Leistung (vgl.Abschnitt 150 Abs 2 UStR) und deshalb weder echte Zuschüsse (vgl.Abschnitt 150 Abs. 4 UStR) noch nicht steuerbare Gesellschafterbeiträge (vgl.Abschnitt 6 Abs. 9 und 10 UStR).

Gleiches gilt unbeschadet der körperschaftsteuerrechtlichen Beurteilung, wenn Zahlungen (z.B. Zuschüsse eines Landes), auf die nur der Hoheitsträger (z.B. eine Gemeinde) einen gesetzlichen oder sonstigen Anspruch hat, unter Abkürzung des Zahlungsweges unmittelbar an den eingeschalteten Unternehmer geleistet werden. In diesem Fall liegt rechtlich und wirtschaftlich eine Zahlung an den Hoheitsträger und eine weitere Zahlung des Hoheitsträgers an den eingeschalteten Unternehmer vor.

Beispiel 2:
Mehrere Gemeinden haben eine GmbH gegründet und diese mit der Errichtung und dem Betrieb einer Müllverbrennungsanlage beauftragt. Die Gemeinden erhalten für den Bau auf Antrag Zuschüsse des Landes (Investitionskostenzuschüsse), die das Land auf Wunsch der Gemeinden unmittelbar auf das Konto der GmbH überweist.
Die Überweisung der Landeszuschüsse an die GmbH ist rechtlich und wirtschaftlich als Zahlung des Landes an die einzelnen Gemeinden und als weitere Zahlung der Gemeinden an die GmbH anzusehen. Die Zahlungen der Gemeinden an die GmbH sind unabhängig von ihrer Bezeichnung als Investitionskostenzuschuß Entgelt für die sonstige Leistung der GmbH (tatsächliche Durchführung der Müllbeseitigung) an die Gemeinden.

b) Zahlungen durch Dritte an den ein geschalteten Unternehmer
Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG gehört zum Entgelt auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt (zusätzliches Entgelt eines Dritten). Dies kann hier nur in Betracht kommen, wenn der eingeschaltete Unternehmer selbst und nicht der Hoheitsträger (vgl. Buchst. a Abs. 2 und Beispiel 2) einen eigenen gesetzlichen oder sonstigen Anspruch auf die Zahlungen hat. Ob diese Zahlungen dann nach § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG als Entgelt eines Dritten anzusehen sind, ist im Einzelfall anhand von Abschnitt 150 Abs. 3 und 4 UStR sowie der BFH-Rechtsprechung zu beurteilen.

4. Mindestbemessungsgrundlage

Die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG i.V.m.§ 10 Abs. 4 UStG) für die Leistung des eingeschalteten Unternehmers an den Hoheitsträger kommt in Betracht, wenn der Hoheitsträger Anteilseigner, Gesellschafter oder Mitglied des eingeschalteten Unternehmers ist. Ist das für die Leistung des eingeschalteten Unternehmers an den Hoheitsträger nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Entgelt niedriger als die nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG maßgeblichen Kosten, so sind diese Kosten als Bemessungsgrundlage anzusetzen. Die maßgeblichen Kosten sind nach den Regelungen in Abschnitt 155 Abs. 2 UStR unter Beachtung von Abschnitt 158 Abs. 3 UStR zu ermitteln. Bei der Ermittlung der Abschreibungen ist zu beachten, daß die AfA-Bemessungsgrundlage nicht um ertragsteuerlich zulässige Abzüge (z.B. den Abzug nach§ 6 b EStG) sowie nicht um eventuelle Zuschüsse gemindert werden darf.

Beispiel 3:
Eine Gemeinde ist alleiniger Anteilseigner einer GmbH die mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kläranlage (Abwasserbeseitigung) beauftragt wird. Die Herstellungskosten der Anlage (Nutzungsdauer lt. AfA-Tabelle 20 Jahre) betragen 4 Mio. DM zuzüglich 14 v.H. Umsatzsteuer. Die Gemeinde erhält einen Landeszuschuß zu den Baukosten von 200.000 DM, den sie an die GmbH weiterleitet. An laufenden Kosten fallen jährlich an: Finanzierungskosten 200.000 DM, Betriebskosten der Anlage 100.000 DM, sonstige Kosten 50.000 DM. Die GmbH erhält von der Gemeinde einen sog. Reinigungspreis von 300.000 DM zuzüglich 14 v.H. USt jährlich. Außerdem zahlt die Gemeinde für den laufenden Betrieb der Anlage einen Zuschuß von 50.000 DM jährlich.
Die GmbH erbringt gegenüber der Gemeinde eine steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistung im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG, die in der tatsächlichen Durchführung der gemeindlichen Pflichtaufgabe ,Abwasserbeseitigung besteht. Zum Entgelt für diese Leistung gehören neben dem sog. Reinigungspreis von 300.000 DM auch der lnvestitionskosterzuschuß (netto 175.439 DM) sowie der laufende Zuschuß (netto 43.860 DM). Das Entgelt beträgt somit insgesamt 519.299 DM.

Außerdem ist zu prüfen, ob die Mindestbemessungsgrundlage das Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG übersteigt. Die Mindestbemessungsgrundlage ist wie f

AfA Kläranlage 5.v.H. von 4 Mio. DM 200.060 DM
Finanzierungskosten 200.000 DM
Betriebskosten der Anlage 100.000 DM
Sonstige Kosten 50.000 DM
Mindestbemessungsgrundlage 550.000 DM

Da die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG i.V.m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG (= 550.000 DM) das Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG (= 519.299 DM) übersteigt, ist sie als maßgebliche Bemessungsgrundlage für die sonstige Leistung der GmbH anzusetzen. Die GmbH kann die Vorsteuern aus der Errichtung der Anlage und den laufenden Kosten in voller Höhe abziehen.

Sind bei eingeschalteten Körperschaften die vereinbarten Leistungsentgelte nicht kostendeckend, so ist in körperschaftsteuenechticher Hinsicht zu prüfen, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung § 8 Abs. 3 KStG, Abschnitt 31 KStR) vorliegt, und ggf. das Einkommen der Körperschaft entsprechend zu erhöhen.

III. Anwendung des § 42 AO

Soweit nicht im Einzelfall Wirtschaftsgüter unmittelbar dem Hoheitsträger zuzurechnen sind, ist die Anwendung des § 42 AO zu prüfen. Die Einschaltung eines Unternehmers in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ist rechtsmißbräuchlich, wenn für sie wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen. Läßt sich die Einschaltung nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklären, fehlt es auch an sonst beachtlichen Gründen. Von der Absicht der Steuerersparnis ist nur auszugehen, wenn durch die Gestaltung – im Vergleich zur eigenen Erledigung der Aufgabe durch den Hoheitsträger ein steuerlicher Vorteil entsteht. Ein steuerlicher Vorteil kann nur dann angenommen werden, wenn langfristig a)  a) die abziehbaren Vorsteuern des eingeschalteten Unternehmers (insbesondere aus Investitionen) die Umsatzsteuer für die Umsätze an den Hoheitsträger übersteigen und

b)  b) eventuelle Aufkommensminderungen bei der Umsatzsteuer durch Mehraufkommen bei anderen Steuerarten (z.B. der Körperschaftsteuer) nicht ausgeglichen werden.

Zur Feststellung eines eventuellen steuerlichen Vorteils ist deshalb überschlägig eine Gegenüberstellung der steuerlichen Auswirkungen für mehrere Besteuerungszeiträume (z.B. orientiert an der Laufzeit des Einschaltungsvertrags oder der Nutzungsdauer einer Anlage) vorzunehmen.

Liegt unter den weiteren Voraussetzungen des § 42 AO bei der Einschaltung eines Unternehmers in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts vor, so entsteht der Steueranspruch so, als ob der Hoheitsträger diese Aufgaben selbst erledigt hätte. Die Einschaltung des Unternehmers ist in diesem Fall unbeachtlich Daraus folgt, daß a)  a) weder die eingeschaltete Person noch der Hoheitsträger den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann und

b)  b) zwischen der eingeschalteten Person und dem Hoheitsträger ein Leistungsaustausch nicht stattfindet.

IV. Anwendung

Dieses Schreiben tritt an die Stelle des BMF-Schreibens vom 22.8.1985, IV A 1 – S 7242 – 27/85 (BStBl 1985 I S. 583). Soweit in Einschaltungsfällen die Entscheidung über die umsatzsteuerliche Behandlung zurückgestellt worden ist, sind die entsprechenden Veranlagungen vorzunehmen. Steuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung sind nach § 164 Abs. 2 AO zu überprüfen.

Schreiben Sie einen Kommentar